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Chaos statt Aufschwung Nordost

An der Ostsee ist die Wirtschaftspolitik am Ende/ Zwischen Subventionen und Streiks wird die Chance für neue Konzepte verspielt  ■ Von Florian Marten

Laue Lüfte streicheln die Küste, ahnungsvolle Düfte durchstreichen das Land. Frühlingszeit. Schon zum vierten Mal wartet die herb-schöne Landschaft zwischen Wismar und Wolgast auf die Wirtschaftsblüte. Noch sind keine Knospen zu sehen. Die industriellen Kerne, von der DDR-Wirtschaftsbürokratie einst gewaltsam in den märkischen Sand gepflanzt, sind zusammengeschrumpft, verschwunden oder warten in den Subventionskammern der Treuhand auf die Exekution.

Das Schweriner Wirtschaftsministerium verweist immer noch auf die Anstrengungen zum Aufbau Nordost. Auf gigantische 48 Quadratkilometer summieren sich die ausgewiesenen „Gewerbegebiete“. Erwartungsfrohe Wiesen, die laut Auskunft des Landes bereits zu 60 Prozent mit Interessenten belegt sind. Doch nicht nur Wirtschaftsexperten runzeln inzwischen die Stirn. Hamburg beispielsweise, zweitgrößte Industriestadt der Republik mit kaum weniger Einwohnern, kommt bis zum Jahr 2000 mit gerade einem Zehntel dieser Flächen aus.

Statt wirklichem Aufbruch vollzieht sich an der Küste Wirtschaftsgeschichte im Zeitraffer. Die reale Arbeitslosigkeit liegt längst zwischen 30 und 40 Prozent. In den nur knapp drei Jahren seit der Einheit verschwanden 60 Prozent der über 50.000 Arbeitsplätze des einstigen Industriegiganten „Kombinat Schiffbau“. Strukturwandel in atemberaubendem Tempo: Was bei den westdeutschen Werften 25 Jahre dauerte, vollzieht sich hier in vieren. Wenn die geplante Umstrukturierung abgeschlossen ist, werden auf den Ostseewerften in Stralsund, Rostock, Warnemünde, Wismar und Wolgast gerade noch 8.000 Arbeiter werkeln.

Und auch dieser „Kern“ ist längst nicht gesichert: Die Weltrezession hat die Hoffnungen auf eine stabile Werftenkonjunktur jäh zerstört. Selbst Südkorea, Shooting-Star unter den Weltwerftkriegsmächten, zittert heute vor den Chinesen, die neu im Markt sind. Polnische und ostdeusche Werften konkurrieren derweil mit den Westeuropäern und den asiatischen Newcomern um den schrumpfenden Markt.

Zwei klassische Strategien von Wirtschaftspolitik laufen im Nordosten gegenwärtig voll gegen die Wand: Das Rezept von Bund, Land und Treuhand, mit enormen Anreizen und Hilfen das Kapital zum Anpacken zu bewegen, ist schon heute gescheitert. Die Hoffnung der Gewerkschaften, durch gezielte Erhaltungssubventionen bestimmte Betriebe durch den Winter der Weltrezession zu retten, ist kaum bezahlbar, auch wenn Fank Teichmüller, Chef der rührigen IG Metall Küste, sich als Industrieminister nach japanischem Vorbild versucht: „Während Japan und Korea den Schiffbau als Schlüsselindustrie und Zukunftstechnologie betrachten, toben hier egoistische Klein-Klein-Kämpfe hinter den Kulissen.“

In der allgemeinen Ratlosigkeit ziehen Industrie und Gewerkschaft auf ihr angestammtes Terrain zurück: Gesamtmetall predigt Lohnverzicht, und die IG Metall Küste hält dagegen: „Jetzt reicht es! Ganz Norddeutschland wehrt sich gegen Rechtsbruch bei den Tarifverträgen, gegen weitere Arbeitsplatzvernichtung und gegen Umverteilung von unten nach oben.“ Heute soll es in allen Metallbetrieben Norddeutschlands ab 13 Uhr „spontane“ Aktionen geben, Auftakt für eine Welle von Warnstreiks in der ostdeutschen Metallindustrie.

Das Chaos an der Küste ist nicht notwendig. Bernd Spieß, Chef des Trägers der Beschäftigungsgesellschaften in Mecklenburg-Vorpommern, sieht nach wie vor Alternativen: „Wir brauchen eine neue Form unkonventioneller Strukturpolitik.“ Sozial-, Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Umweltpolitik könnten aufs engste verzahnt werden. Gezielt geförderte Existenzgründungen im Umfeld ehemaliger Kombinate beispielsweise, verbunden mit Flächensanierung (statt Wiesen zu Gewerbegebieten zu erklären) und Kooperation mit den Beschäftigungsgesellschaften. Gefragt sei nicht der abstrakte Glaube an den Wunderunternehmer, sondern die Arbeit an Chancen und Problemen vor Ort.

Auch in Brüssel, Bonn, Schwerin und den Gewerkschaftszentralen redet man inzwischen von den neuen Instrumenten der Strukturpolitik. Doch wer soll an die Stelle von Unternehmer, Gewerbegebietplaner oder Kernkonservateur treten? Auch hierauf haben die Optimisten eine Antwort: Regionalkonferenzen, Ideenwerkstätten, dialogische Verfahren und prozeßhafte Planung, kurz: Neue Kooperationsformen zwischen Politik, Experten, Wirtschaft und Gewerkschaft müßten her. Ahnungsvolle Düfte? Laue Lüfte?

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