■ Cash & Crash: Der Tod des Taurus
London (taz) – Aus dem geplanten Begräbnis im Familienkreis ist nichts geworden. Der Tod von Taurus hat weit über die Londoner Börse hinaus Aufsehen erregt. Taurus ist ein Computersystem, mit dem Börsentransaktionen automatisiert und die Ausgabe von Aktienzertifikaten überflüssig werden sollten. Da bei dem Programm immer wieder Fehler auftraten, die sich nicht beseitigen ließen, ohne neue Fehler zu verursachen, wurde das Projekt am vergangenen Wochenende abgeblasen. Die 15jährige Entwicklungsphase hat die Börse 100 Millionen Pfund (240 Millionen Mark) gekostet.
Die Börsenmitglieder haben freilich weit höhere Verluste zu beklagen. Die Firmen haben etwa 350 Millionen Pfund ausgegeben, um die technischen Voraussetzungen für die elektronische Verbindung mit Taurus zu schaffen. Die Reaktionen auf das Ende des Projekts waren entsprechend heftig.
Im Mittelpunkt der Kritik stand vor allem Peter Rawlins, der Hauptgeschäftsführer der Londoner Börse. Die meisten Börsenkunden machten ihn für das Desaster verantwortlich, weil er die Warnungen von Experten und unabhängigen Beraterfirmen seit Jahren ignoriert habe. Rawlins zog die Konsequenzen und trat zurück.
Die Schuld für das Versagen des Computersystems liegt allerdings nicht allein bei Rawlins. Um Taurus einzuführen, mußten Aktienrecht und Börsenregeln angepaßt werden. Diese Änderungen sind auf tausend Seiten festgehalten, die so verwirrend formuliert sind, daß selbst gewiefte Wirtschaftsjuristen das Handtuch werfen mußten. „Ich habe nichts davon kapiert“, sagte ein Anwalt. Wer sollte aber Taurus mit Informationen füttern, wenn nicht mal die Fachleute durchblicken?
Der finanzielle Schaden wird jedoch von den Folgen, die die Blamage für die Londoner Börse haben könnte, noch übertroffen. Das elektronische Börsensystem galt als Voraussetzung dafür, London gegen Paris und Frankfurt als Finanzzentrum Europas zu etablieren. Die Bank von England, der die Börse untersteht, versucht nun zu retten, was kaum noch zu retten ist. Sie hat einen neunköpfigen Stab gebildet, der bis Juni das Taurus-Wrack auf Brauchbares durchsuchen soll. Experten sind jedoch skeptisch: Wenn es dem Taurus-Team in 15 Jahren nicht gelungen ist, ein funktionierendes System zu entwickeln, wird es die Bank von England wohl kaum in drei Monaten schaffen. Ralf Sotscheck
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