: Toleranz entsteht, wenn Unfreiheit stinkt
■ betr.: "Nur ein Euro-Muslim ist ein guter Muslim", taz vom 6.3.93
betr.: „Nur ein Euro-Muslim ist ein guter Muslim“, taz vom 6.3.93
Welche Rechnung soll da mit der Politologie beglichen werden? Seit Hannah Arendt gehört es doch zum Bestand des Allgemeinwissens, daß der Totalitarismus durch ganz andere Absichten bestimmt ist als die Anschauung, die er ortsbedingt vor sich herträgt:
Der Nationalsozialismus ist so wenig national wie sozial: der ästhetische Rausch eines durch die Welt hechtenden reinen Rasserudels vertrug sich ebensowenig mit der nationalen wie mit der sozialen Einschränkung von Egoismus. Das gleiche gilt für den Stalinismus, der soziale Verantwortlichkeit, eben zuviel Verantwortlichkeit, als Wert erwartete, um umgestört die blutigen Voraussetzungen für ein von Freiheit entleertes Paradies zu schaffen. Und was hat der Weltplan einer von Individualität gereinigten, nach gesellschaftlichen Vorstellungen verplanbaren, sich moralisch rein bewegenden, moralisch rein denkenden uniformierten Menschheit zu schaffen mit den dem Subjekt verpflichteten Vorstellungen von Religion? Da gleichen sich islamischer, christlicher, hinduistischer und buddhistischer (Sri Lanka) Fundamentalismus.
Diese Burschen, vom Ku-Klux- Klan bis Abdel Rahman, werden durch die Lehren ihrer Religionsbücher ebenso behindert wie Stalin durch das kommunistische Manifest und Hitler durch die preußische Literatur des Nationalstolzes.
„Das von Europa geprägte kulturelle Projekt der Moderne“, das nämlich gegen europäische totalitäre und imperialistische Vorstellungen sich erhalten hat, die Hoffnung gegen Hitler, Stalin und NachbeterInnen, ist auch die Hoffnung gegen rassistische und fundamentalistische Vorstellungen anderswo. Es sei denn, in Arabien entwickelte sich ein arabisches kulturelles Projekt der Moderne, das sich gegen den islamisch sich tarnenden Fundamentalismus wehrte. Der Islam wird diese Hoffnung allerdings ebensowenig erfüllen wie das Christentum die Hoffnung gegen die Inquisition. Toleranz kommt daher, daß den Leuten die Unfreiheit stinkt. Nichts tiefer und nichts höher. Auch der Fundamentalismus ist kein moralisch beachtliches Motiv, den Islam vor dem Angriff auf eine Vorstellung in Schutz zu nehmen, mit der er angeblich nichts zu tun hat. Goltschehre Jung und Martina Saha sehen jedenfalls nicht ein, das Projekt der Moderne gegenüber Bassam Tibi auszuprobieren. Sie halten lieber die Tradition des arabisch-islamischen Rationalismus hoch. Besonders tolerant ist der offenbar nicht. Nun: Wir „Linken“ haben auch verdammt viel DDR und China entschuldigt, relativiert. Um so kritischer müssen wir jetzt mit anderen wohlmeinenden IdeologInnen sein! Klaus Wachowski, Alzey
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