: Angst vor Bombenterror in Indien
Bei dem Bombenanschlag in Kalkutta starben über ffünfzig Menschen/ Behörden tappen immer noch im dunkeln/ Hinweise auf Verbindungen in Bombays Unterwelt ■ Aus Delhi Bernard Imhasly
In der indischen Öffentlichkeit wächst die Furcht vor einer neuen Form der politischen Gewalt im Lande. Über fünfzig Menschen starben, nachdem am späten Dienstag abend Bomben in zwei Wohnhäusern im Zentrum von Kalkutta explodierten.
Bereits in Bombay, wo inzwischen nahezu dreihundert Menschen an den Folgen des Anschlags vom 12.März gestorben sind, zeigten Ausmaß und Präzision der Operation das Vorhandensein der wesentlichen Elemente erfolgreichen Bombenterrors: Motivation, Logistik und Ressourcen. Eindeutige Schlußfolgerungen mögen verfrüht sein, doch die polizeilichen Ermittlungen scheinen auf Verbindungen zwischen den Attentätern und dem lokalen kriminellen Untergrund hinzuweisen.
In Bombay ist dieser Untergrund, der vor allem im Schmuggel, im Drogenhandel und in der Bodenspekulation tätig ist, von Muslimen beherrscht. Dies mag zum Teil auf den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang zurückzuführen sein, welche die Gemeinschaft seit der Unabhängigkeit Indiens kennzeichnet. Seine Vitalität kommt aber aus der Verbindung der Hafenstadt Bombay zu Schmuggelkreisen im Mittleren Osten, die nicht nur von Gold, sondern auch vom Waffen- und Drogenhandel gespeist wird. Der Anschlag auf die Börse und weitere Symbole einer offenen Wirtschaft könnte mit der Gefährdung zusammenhängen, welche eine solche Öffnung für die Schmuggeltätigkeit bewirkt, deren Existenz von hohen Zollmauern abhängt.
Das Bedrohungsgefühl unter den Muslimen der Stadt – durch die religionspolitischen Unruhen der letzten Monate bis zur Panik gesteigert – findet über die kriminelle Halbwelt bei mittelöstlichen Glaubensbrüdern eine Unterstützung, die so effizient ist, wie sie als legitim betrachtet wird. Immer häufiger taucht in Gesprächen das Schreckensbild eines „südasiatischen Beirut“ auf. Nun, da auch in Kalkutta Bomben hochgegangen sind und amerikanische Geheimdienstberichte von einer ähnlichen Gefahr für die Hauptstadt Delhi sprechen, wird die Beirut-Metapher durch das Bild „Bosnien“ ersetzt.
Damit wird die Wirkung angedeutet, welche die breite Verteilung der etwa 120 Millionen Muslime im ganzen Land bei Ausbruch eines Glaubenskriegs haben könnte: Gegenüber einem solchen, so meinte der bekannte Fernsehmoderator Prannoy Roy kürzlich, „würde Bosnien einer Tea-Party gleichen“. Verteidigungsspezialisten reichern derartige Szenarien um den Faktor der endemischen Feindschaft zwischen Indien und Pakistan – das jede Verantwortung für die jüngsten Bombenanschläge ablehnte – an: Gegenüber dem übermächtigen Koloß kann Pakistan erfahrungsgemäß keinen konventionellen Krieg gewinnen, und auch die nukelare Option hat vorläufig nicht mehr als eine Abschreckungswirkung.
Der „low-intensity war“, den Pakistan seit Jahren in Kaschmir und Punjab führt, ist dagegen nicht nur billig, er hat auf das offene System der indischen Demokratie auch zweifellos eine destabilisierende Wirkung.
Allerdings ist es zu früh und vor allem zu einfach, in solchen Schreckensvisionen bereits Zukunftsperspektiven zu sehen. Die Auseinandersetzungen mit den Folgen von der Zerstörung der Moschee von Ayodhya in den letzten Monaten bestanden nicht nur aus gewalttätigen Unruhen. Es gab auch zahlreiche Zeugnisse einer nationalen und kulturellen Identität, welche die religiösen Unterschiede überbrückt. In den meisten indischen Dörfern ist das friedliche Zusammenleben zwischen Hindus und Moslems ohnehin nicht erschüttert worden. Dessen Infragestellung in Teilen der städtischen Öffentlichkeit hat auch dazu geführt, daß sich viele Menschen bewußt wurden, was 800 Jahre Zusammenleben beider Religionsgruppen an Gemeinsamkeiten bewirkt hat.
Hoffnungsschimmer
Zahlreiche Kundgebungen – etwa eine 10.000 Kilometer lange Menschenkette, welche kürzlich Tausende von Dörfern Westbengalens untereinander verband – haben zudem gezeigt, daß die religiöse Toleranz des Hinduismus gesellschaftlich tief verankert ist. Die energische Reaktion des Staates auf die Bombenanschläge in Bombay ist für viele auch ein Hoffnungszeichen, daß sich der säkulare Staat endlich dazu aufrafft, einer Polarisierung der indischen Gesellschaft zu begegnen.
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