: SUSI sammelt Sympathien
Freiburger Siedlungsinitiative schafft preiswerten Wohnraum auf ehemaligem Militärgelände/ Zwei Jahre beharrlicher Kampf gegen den Bürokratendschungel um ein Sparkonzept ■ Aus Freiburg Heide Platen
Freiburg ist pleite – das sagen jedenfalls böse Zungen. Und SUSI will sparen. Sie ist deshalb – mit Beharrlichkeit und Sachverstand – eine baden-württembergische Meisterin der kommunalpolitischen Springprozession geworden – zwei Schritte vor, einen zurück und umgedreht. Ihre FreundInnen fragen liebevoll und werbewirksam: „Who's that Girl?!“ Der launige Name steht – eigentlich ganz trocken – für die „Freiburger Selbstorganisierte Unabhängige Siedlungsinitiative SUSI e.V.“. Und die macht der Stadtverwaltung mit ihrem hartnäckigen Sparwillen seit über zwei Jahren zu schaffen. Oberbürgermeister Rolf Böhme (SPD) verlor ihretwegen das eine um das andere Mal nicht nur die Contenance, sondern auch seine sonst gewohnten Mehrheiten im Gemeinderat. Übergreifend stimmten StadträtInnen seiner eigenen Partei ebenso wie zwei CDUlerInnen, FDP, Grüne und ÖDP dafür, daß SUSI ihr alternatives Wohnprojekt in den Häusern der Vauban-Kaserne zwischen Merzhausen und St. Georgen am Stadtrand im Süden von Freiburg realisieren kann. SUSI, sagen auch Kritiker anerkennend, „stand als erste mit neuen Ideen auf der Matte“, schon lange also, bevor die französischen Soldaten das 40 Hektar große Gelände im August des vergangenen Jahres endgültig räumten.
Zurück ließen sie eine 1938 erbaute Kasernensiedlung, die weder allzu sehr durch die preußische Gigantomanie nationalsozialistischer Militärarchitektur vor ziviler Nutzung abschreckt noch die heruntergekommene Tristesse vieler von den amerikanischen und deutschen Soldaten geräumter Kasernen verströmt. Die Häuser sind von der französischen Armee gut erhalten, gepflegt und immer wieder modernisiert worden. Die Einfahrt erinnert, kopfsteingepflastert und ganz unmilitärisch, eher an eine alte Dorfstraße, gesäumt von hohen Birken, Kastanienbäumen und Platanen. Die zweistöckigen, hellen Gebäude stehen weiträumig verstreut. Sie gruppieren sich um einen großen freien Rasenplatz in der Mitte. Im Süden fließt der Dorfbach, eine bis heute fast naturbelassene Idylle. Die Innenräume sind groß, meist trocken und gut instand gehalten. Die Heizung funktioniert. Elektro- und Wasserinstallationen sind in etlichen Gebäuden kurz vor deren Abzug noch von der französischen Armee erneuert worden. In einem der verlassenen Säle hängen noch die Schaubilder für den Schießunterricht an der Wand, in einem anderen trafen sich laut Hinweisschild „nur“ die weiblichen Mitglieder der Truppe zum Drink an der Bar.
Schon im Herbst 1990 begann eine Handvoll junger Leute den Kampf um das Areal. Sie orientierten sich an dem Vorbild der Chérisy-Kaserne in Konstanz. Dort hatten StudentInnen Anfang der 80er Jahre eine Kaserne in für sie bezahlbaren Wohnraum umgewandelt. Das Evangelische Studentenwerk legte ein Umbau- und Finanzierungskonzept vor, das sich daran orientierte, daß ein Mietpreis von 5,50 Mark pro Quadratmeter nicht überschritten werden sollte. Die Chérisy-Kaserne wurde zum Vorzeigeprojekt – auch dank eines Zuschusses aus dem Landeshaushalt. Heute wohnen dort rund 400 Menschen.
Auch SUSI setzt auf Pläne für ein ebenso einfaches wie deshalb utopisches Umbauprogramm und den „behutsamen Umgang mit dem Vorhandenen“, auf ein gerüttelt Maß Eigenarbeit von rund 55 Prozent, örtliche Fachbetriebe für abnahmepflichtige Arbeiten, Wiederverwertung von Holz, Steinen und Glasbruchstücken. Dann soll der etappenweise Ausbau hin zu „etwas Luxus“ folgen, eben „vom Notwendigen zum Ansehnlichen“. So billig wie in Konstanz werden die Wohnungen allerdings doch nicht werden. Sabine Luttinger, zuständig für „Finanzen und Politik“, rechnet inzwischen mit einem „realistischen Quadratmeterpreis von acht Mark“.
Die Wohnungen für 650 Menschen in zwölf Häusern im ursprünglichen SUSI-Plan sollten allerdings nicht mehr nur für StudentInnen erstellt werden, sondern in Freiburg in ein „Mischkonzept“ eingebunden sein. Alleinerziehende Frauen, alte Menschen, große Familien und Obdachlose wollte SUSI integrieren. Das sollte die umfangreiche „Notlagenkartei“ der Stadt entlasten, in der 1991 rund 2.500 „Haushalte in akuter Notlage“ erfaßt waren. Dazu kommen noch einmal 6.000 Haushalte, die auf den kommunalen und gemeinnützigen Wartelisten stehen. Und es sollte, nach dem Vorbild von Chérisy, Arbeitsplätze auf dem Gelände geben – Kindergarten, Beratung, Werkstätten. Bobby Glatz betrachtet diese Pläne mit ein bißchen wehmütigem Realismus: „Davon haben wir schon viele Abstriche machen müssen.“
Als eine der größten bürokratischen Hürden erwies sich die Tatsache, daß das Umbauprogramm auch auf große Wohnungen, fünf bis sechs Zimmer für Familien und Wohngemeinschaften, ausgerichtet war. Alternative, gemischte Wohnformen sind in den jeweiligen Landes- und Bundesgesetzen bisher nicht als förderungswürdig anerkannt. Es werden strenge Anforderungen an Wohnungsgrößen und Quadratmeterzahlen für Familien und Einzelpersonen gestellt, die nicht überschritten werden dürfen.
Da nützte es SUSI lange Zeit auch gar nichts, daß sie vorrechnete, daß der Umbau nicht nur wesentlich billiger sein werde als der von der Stadt ursprünglich anvisierte Abriß, der allein pro Gebäude 1,5 Millionen Mark gekostet hätte. Das Projekt sei außerdem, so SUSI, auch noch wesentlich preiswerter als der mehr als doppelt so teure Umbau nach den konventionellen Förderrichtlinien des sozialen Wohnungsbaus.
Die Stadtverwaltung blockierte die Pläne mit immer neuen bürokratischen Hindernissen. Die eigenen ParteigenossInnen rügten ihren Oberbürgermeister Böhme als „unmöglich“ und schlugen sich auf SUSIs Seite. Die Stadt, die ein eigenes Bebauungskonzept verfolgte, mauerte weiter. Eine Landespolizeischule, eine Sammelunterkunft für Flüchtlinge in „Zwischennutzung“ und Unterkünfte für Obdachlose waren geplant.
Die Initiative wuchs mit dem Widerstand, neue Mitglieder kamen dazu. „Wir sind“, sagt Bobby Glatz, „durch die vielen Schwierigkeiten erst richtig zusammengewachsen.“ Sabine Luttinger bestätigt den „Nun erst recht!“-Effekt, weiß aber auch, daß es zwischendurch immer wieder „Durststrecken“ gegeben hat und, ahnt sie voraus, „immer wieder geben wird“.
Im März 1992 verzichtete das Land auf seine Polizeischule. Die Stadt kündigte mit Blick auf zu erwartende Planungsgewinne und erhoffte künftige Investoren einen Ideenwettbewerb für die endgültige Bebauung des Areals an. Oberbürgermeister Böhme erklärte prophylaktisch, daß SUSI da nur im Wege sei und zudem von der Stadt keinen Pfennig Zuschuß zu erwarten habe. Die Initiative reagierte mit einer großen Unterschriftensammlung in der Lokalzeitung, mit Veranstaltungen und Happenings.
In einer turbulenten Gemeinderatssitzung am 16. Juni 1992 erhielt SUSI schließlich, gegen den erbitterten Widerstand von Oberbürgermeister Böhme und der Verwaltung, zwei statt der ursprünglich zwölf erwünschten Mannschaftsgebäude zugesprochen. Zwei weitere kamen dann mit dem Segen und der Hilfe des Gemeinderates im Ringtausch dazu. Für diese beiden Häuser, die ursprünglich dem Studentenwerk zugesprochen waren, stellt die Kommune diesen Ersatz in der Stadt zur Verfügung.
Eine Lokalzeitung nannte dies begeistert den „Tag der kleinen Gruppen“ im Stadtparlament. Gleichzeitig nämlich hatte der „Arbeitskreis Alternative Kultur“ (AAK), ähnlich wie SUSI „auch immer so in die Schmuddelecke gestellt“, eine Spielstätte im ehemaligen Elektrizitätswerk zugesprochen bekommen. Daß die der Verwaltung abgerungenen Zugeständnisse an die von ihr nach den Konflikten vergangener Jahre zwar oberflächlich gehätschelte, aber sicher nicht geliebte Alternativszene zweischneidig sind, ahnte auch der Gemeinderat.
Im Fall des AAK hatte sich der im E-Werk ansässige Künstlerverein schon vorher gegen die neuen Nachbarn ausgesprochen. Der Konflikt war vorprogrammiert. Der Gemeinderat beschloß deshalb vorsichtshalber gleich alternative Ausweichmöglichkeiten mit.
Die Widrigkeiten im Gestrüpp des Behördendschungels haben die SUSIs in einer – nur leicht ironischen – dreiseitigen Chronologie für das Jahr 1992 aufgelistet. Am Ende des Verwaltungsweges hatten sie die wechselnden und sich überschneidenden Zuständigkeiten der Gemeindeveraltung, des Stadtrates, des Regierungspräsidiums, des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, der Innen- und Wirtschaftsminister, der Oberfinanzdirektion, des Bundes als Eigentümer des Geländes und der Landeskreditbank als Geldgeber jeweils mehrfach durchlaufen. Die beiden CDU-Abgeordneten Ursula Kopf und Margit Lemmer waren sogar nach Stuttgart gereist, um dort beim Wissenschaftsminister „eine Lanze für SUSI“ zu brechen. In Bonn lobte sie der Bundesbildungsminister Ortleb „für ihr Engagement“.
Im Herbst 1992 verdächtigten selbst wohlgesonnene Landtagsabgeordnete Oberbürgermeister Böhme, das nun einmal beschlossene Projekt SUSI auch auf Landesebene blockieren zu wollen. Grüne und FDP setzten sich für die Initiative ein und warfen dem Sozialdemokraten vor, daß es einfach eine „Affenschande“ sei, wenn ausgerechnet die SPD die „genossenschaftlichen Ideen“ hintertreibe. Entspannung zeichnete sich dann endlich im Dezember, auch für SUSI überraschend, ab. Das Wirtschaftsministerium lenkte ein und signalisierte, es werde SUSIs Modellcharakter anerkennen und es, trotz der unbotmäßig groß geplanten Wohnungen, nach den Richtlinien des sozialen Wohnungsbaus fördern.
Dies aber heißt, daß die Initiative die Häuser von der Bundesregierung zu einem um die Hälfte ermäßigten Verkaufspreis erwerben kann und die Grundstücke zu einem vergünstigten Tarif in Erbpacht bekommt. Außerdem können die zum Ausbau benötigten Kredite zinsgünstig aufgenommen werden. Damit, so Sabine Luttinger, „sind wir einer der wenigen Präzedenzfälle, daß Richtlinien nicht so starr gehandhabt werden müssen und an die Bedürfnisse der Menschen angepaßt werden können“.
Das letzte Wort soll nun bei der Landeskreditbank liegen. Der gegenüber muß SUSI bis zum 31. März die „Schlüssigkeit des Finanzierungskonzeptes“ nachgewiesen haben. Woran es SUSI jetzt fehlt, ist das Eigenkapital. Mit Broschüren, Plakaten und Informationsständen wirbt sie um Spenden, Stille GesellschafterInnen, private Darlehen und Bürgen. 600.000 Mark, also 20 Prozent der Gesamtsumme, müssen so aufgebracht werden.
Kontakt: SUSI, c/o AStA der Universität Freiburg, Bertoldstraße 26, 7800 Freiburg, Tel. 0761/472155 (Montag bis Freitag, 10–14 Uhr).
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