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Wahn und Wirklichkeit

■ „Grenzgänge: Eine Dokumentar- und Spielfilmreihe im Babylon-Mitte

So lückenhaft und spekulativ auch im einzelnen die Auswahl der Dokumentar- und Spielfilme erscheinen mag – die Reihe im Babylon birgt doch einige ungewöhnliche Überraschungen, wie zum Beispiel den 350minütigen Dokumentarfilm „Near Death“ (von Frederick Wiseman). Todkranke Menschen, die sich auf der Kippe zwischen Diesseits und Jenseits befinden, werden nach ihrem Verständnis von Leben und Tod, Autonomie und sozialer Umwelt befragt. Unvoyeuristisch und schonungslos wird der Film zum Forum für existentielle Überlegungen und Diskussionen.

Ein weiterer aktueller Dokumentarfilm, „Der Störenfried“, ist ebenfalls auf das Mortale fixiert, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen. Hier ist der Tod eine freiwillige Entscheidung und eine Waffe zugleich: Der Film rekonstruiert das Leben des DDR-Pfarrers Oskar Brüsewitz, der die Konsequenz seines sowohl rebellisch- anarchischen wie auch naiv-gläubigen Lebens in einer dramatischen wie klassischen Opfertat zog: Er verbrannte sich selbst. Die zwei DEFA-Filme „Die Beunruhigung“ und „Heute sterben immer nur die anderen“ kreisen jeweils um die unterschiedlichen Reaktionen weiblicher Hauptpersonen auf die Bedrohung durch den Tod. Zwischen dem Mut zur Eigentlichkeit oder selbstberuhigender Verdrängung variieren die Reaktionen der Frauen.

Neben so bekannten wie unterschiedlichen Filmen von Truffault, Wenders, Visconti und Kieslowski sind auch Nachwuchsregisseure vertreten. „Stilles Land“ – das Regiedebüt von Andreas Dersen und „Neues aus Wittstock“ von Volker Koepp sind zwei Nach-Wende- Filme ostdeutscher Provenienz, die sich thematisch dem Ost-West- Konflikt widmen.

„Frühstück bei Tiffany“, mit der gerade verstorbenen Audrey Hepburn in der weiblichen Hauptrolle, fällt zwar in jeder Hinsicht aus dem Programm, ist aber nichtsdestoweniger ein klassischer Filmgenuß, wenn auch zu einem ganz anderen Grundthema menschlicher Existenz: der Liebe.

Ohne vermitteln zu können, was es mit Grenzgängen nun so auf sich hat, bietet die Reihe wenigstens Filme, die man immer schon einmal wiedersehen wollte.

Christiane Voss

„Grenzgänge: Tod und Trauer, Wahn und Wirklichkeit, Ost und West“ im Kino Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30, 1020 Berlin- Mitte, täglich Vorstellungen ab 18 Uhr, bis zum 24. März.

Spielplan: siehe auch taz-Programmteil

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