: Unerhörtes im Dachgeschoß
Seit vier Jahren gibt es die „Unerhörte Musik“ in der Berliner Kabarett Anstalt (BKA) am Mehringdamm ■ Von Marc Maier
Rainer Rubbert, der die Konzertserie „Unerhörte Musik“ nicht nur mitinitiierte, sondern auch seit Beginn leitet, konnte kürzlich das vierjährige Bestehen dieser in Berlin einmaligen Einrichtung für zeitgenössische Musik feiern: Am 14. Februar 1989 hatte mit dem Scharoun-Ensemble das Eröffnungskonzert stattgefunden.
Rubbert studierte Komposition bei Witold Szalonek an der Berliner Hochschule der Künste und besuchte per Paris-Stipendium Kurse bei Pierre Boulez. Er gehört zu jenen Komponisten, die sich nicht, der romantischen Doktrin folgend, ins stille Kämmerlein zurückziehen, um nächtens klangtrunken am Schreibpulte zu wanken, sondern sich für ihre Belange und Interessen öffentlich einsetzen und engagieren. Neben der Leitung der „Unerhörten Musik“, die etlichen jungen Berliner Musikern und Komponisten nicht nur Auftrittsmöglichkeit bot, sondern oftmals auch Sprungfeder zu anderen Podien war, engagierte sich Rubbert als Vorstandsmitglied der 1990 gegründeten Berliner Gesellschaft für Neue Musik.
Daß er dadurch nicht die Zeit für seine eigene schöpferische Betätigung verlor, ist erstaunlich. Die öffentliche Anerkennung des Komponisten Rubbert spiegelt sich, neben fast alljährlich irgendwo gewonnenen Preisen oder Stipendien, in der Verleihung des begehrten „Kunstpreis Berlin“ der Akademie der Künste wider. Klar, daß da Aufführungen seiner Werke in allerlei wichtigen Konzerten bis hin zu internationalen Festivals nicht ausbleiben konnten.
1988 gründete die Kleinkunsttheater-Gruppe „Die Enterbten“ die Berliner Kabarett Anstalt, kurz und bündig: das BKA. Das dafür auserkorene Dachgeschoß eines Kreuzberger Gewerbehauses am Mehringdamm hatte bereits auf eine stolze Geschichte zu verweisen: Nicht nur beherbergte es in den Sechzigern einen Jazzschuppen, sondern hatte auch als Discothek unter dem Namen „Dachluke“ gedient.
Als Kabarett-Pianisten und Songschreiber brachten „Die Enterbten“ den Komponisten Rainer Rubbert mit: ist für zeitgenössische Tonsetzer doch, wie nicht nur die Beispiele Schönbergs oder Lutoslawkis zeigen, die Beschäftigung im Bereich der unterhaltenden Muse oftmals die klassische Weise, die Butter aufs Brötchen (oder eben doch nur selbiges) zu verdienen.
„Die Enterbten“ bauten das Dachgeschoß um, mußten aber bald feststellen, daß eine anteilige Vermietung ihrer Räume die finanziellen Risiken eines unsubventionierten Theaterbetriebs wenn schon nicht beheben, so doch erheblich mindern könnte – sie sahen sich also nach Interessenten um.
Und wie der Zufall spielte, hatte Herr Mehlitz als Musikressort-Leiter des Kultursenats just die Idee, es müsse in Berlin eine Konzertreihe für zeitgenössische Musik entstehen. Der Zufall aber spielte weiter und ließ Herrn Mehlitz sich des besagten Kreuzberger Dachgeschosses erinnern und „Die Enterbten“ mit ihm in Kontakt geraten. Ihr Pianist besann sich seiner eigentlichen Profession und nahm engagiert die Arbeit auf, in den für Neue Musik recht unkonventionellen Räumen eine Konzertreihe ins Leben zu rufen: Im Februar 1989 konnte das Eröffnungskonzert der „Unerhörten Musik“ stattfinden.
Nach anfänglich weitester Öffnung in alle musikalischen Richtungen – vereinzelt fanden auch Jazz-Konzerte statt – kristallisierte sich bald als Schwerpunkt komponierte Neue Musik des 20.Jahrhunderts heraus, bevorzugt ab der zweiten Hälfte. Stilistische Einschränkungen innerhalb dieser zeitgenössischen Musik aber blieben, abgesehen von einem gewissen Qualitätsniveau, bis heute außen vor. Lebende Komponisten werden nach wie vor gegenüber toten in einem Maße bevorzugt, das den Gewohnheiten herkömmlicher Veranstalter diametral entgegensteht.
Klar war dabei von Anfang an, daß es sich vorrangig um ein Podium für Berliner MusikerInnen handeln sollte. Mittlerweile ist die „Unerhörte Musik“ aber den Anfragen nach zu schließen, längst überregional bekannt. Schmunzelnd erzählt Rainer Rubbert etwa von zur Zeit verstärkten Anfragen aus Kalifornien, die lustigerweise alle den gleichen Fehler in der Anschrift aufweisen.
Im Berliner Musikleben aber hat sich die „Unerhörte Musik“ im BKA längst als ein Ort profiliert, wo nicht nur die meisten Uraufführungen junger Berliner Komponisten stattfinden, der also vielleicht den besten Einblick in die junge Berliner Neue-Musik-Szene gewährt, sondern wo sich auch in Ruhe, – sei's in der Pause oder nach dem Konzert – am Tresen ein Bierchen schlürfen oder eifrig diskutieren läßt. Bietet doch außerdem der Raum mit seiner Kabarett-Bühne, die eher ein Podium zu nennen ist und mit den aufgelockert drumherum gereihten Cafétischen eine für zeitgenössische Musik ungewöhnlich entspannte Atmosphäre.
Musikalisch kann oft Unvorhersehbares passieren, sieht sich doch Rainer Rubbert eher, wie er provokant formuliert, als Dienstleistungsbetrieb denn als Impressario. So redet er den Interpreten kaum in ihre Programmgestaltung hinein und freut sich selbst, dadurch viel Neues kennenzulernen. Diese Gelegenheit nutzen mittlerweile auch renommierte Berliner Interpreten, um Programme zu spielen, die sie im kommerziellen Sektor kaum anbieten könnten. Bei 44 Konzerten pro Jahr, die allwöchentlich dienstags stattfinden, dürfte also noch so einiges an Unerhörtem zu erleben sein.
Dienstags: „Unerhörte Musik“ in der Berliner Kabarett Anstalt, Mehringdamm 34, Kreuzberg.
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