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In den Hobbys ist die Lust

Das ABM-Projekt Perspektive berät Berufsunzufriedene  ■ Von Rüdiger Soldt

Michael Röhles weiß seit zehn Jahren nicht, für welchen Beruf er sich entscheiden soll. Mit 18, gleich nach dem Realschulabschluß begann er eine Ausbildung als Fernmeldetechniker bei der Telekom. Die wohlstandsorientierten Eltern wollten den Sohn in sicherem Brotberuf sehen.

Doch der Traum der Eltern wurde zum Alptraum ihres Sohnes: Michael war noch vor dem Abschluß seiner Ausbildung klar, daß er in seinem Beruf nie arbeiten wollte: „Das hat mir einfach keinen Spaß gemacht, und ich wollte schnell etwas anderes machen“, sagt der 29jährige. Jetzt verdient er sein Geld hinter dem Taxi-Steuer und ist immer noch auf der Suche nach einem Beruf, der ihm „wirklich Spaß“ machen könnte. Einen solchen Beruf zu finden, ist gar nicht so einfach. Die Berater der Arbeitsämter wollen berufsunzufriedene und orientierungslose Klienten möglichst in Mangelberufe vermitteln. Persönliche Probleme und die Lebensgeschichte der Berufsunzufriedenen interessieren nicht. Nach dem Arbeitsförderungsgesetz sollen die Ämter Arbeitsplätze vermitteln. Zudem wird eine kombinierte Lebens- und Berufsberatung immer komplizierter, besonders für Ratsuchende mit, wie Soziologen sagen, „Flickenteppich-Lebensläufen“.

Auf die individuelle Problemlage Berufsunzufriedener hat sich seit 1988 das ABM-Projekt „Perspektive: Berufsweg, Lebensgeschichte, Neuorientierung“ in der Potsdamer Straße spezialisiert. Michael Röhle hat durch ein Beratungsgespräch bei „Perspektive“ zumindest eine Orientierung bekommen, welche persönlichen Fähigkeiten er hat und in welcher Richtung er einen Beruf suchen könnte.

„Perspektive“ versucht, ihre Klienten „ganzheitlich“ zu beraten und nicht ausschließlich den beruflichen Bildungsweg zu sehen. Die Lebensgeschichte ist Bestandteil der Beratung; die Berufsprobleme der Klienten werden im Spannungsfeld von „sozialer Einfügung“, „Arbeit“ sowie „Partnerschaft/Liebe“, einem Modell des Psychologen Alfred Adler, analysiert.

Karl-Heinz Albers, selbst arbeitsloser Politologe, hat 1988 mit einer ABM-Stelle im Anschluß an eine Fortbildungsmaßnahme „Perspektive“ gegründet. Albers kennt die Situation der Arbeitslosen, die zur Intensivberatung in sein Büro kommen, aus eigener Erfahrung: Als er 1975 sein Studium abschloß, fand er keine Beschäftigung. Albers erlebte eine Identitätskrise wie viele, die sich heute bei „Perspektive“ Rat holen. Deshalb will er den Berufsorientierungslosen heute vor allem helfen, einen Beruf zwischen wohligen Wünschen und harter Zielorientierung zu finden: „Wir wollen die Verantwortung für die Unzufriedenheit im Beruf nicht allein auf das Individuum abwälzen, aber wir wollen, daß die, die sich von uns beraten lassen, zwischen eigenen und gesellschaftlichen Bedingungen unterscheiden“, sagt Albers.

Die Arbeitsämter hätten die Frage zu beantworten, wo es noch Nischen gebe; bei einer „Perspektive-Beratung“ – eine Normal-Beratung kostet 5 Mark, eine Intensivberatung mit vier einstündigen Terminen 100 Mark – würden die Klienten nach ihren Fähigkeiten gefragt. Das Ziel der Beratung sei, den Kunden ein „Bewußtsein über die Fähigkeiten“ zu vermitteln. Perspektive will vor allem eine Vororientierung geben und dazu anregen, nach Fähigkeiten, aber auch nach eigenen Fehlern am früheren Arbeitsplatz zu fragen. Eine klassische Berufsberatung soll damit nicht ersetzt werden; es geht um prinzipiellere Fragen im Vorfeld der Berufsfindung. „Ich frage die Arbeitslosen und Berufsunzufriedenen, die zu uns kommen, was ihre Sache ist“, sagt Karl-Heinz Albers, „denn in den Hobbys tummelt sich die Lust.“

Perspektive für Berufs- und Lebensgestaltung e.V., Potsdamer 118

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