: „Ich habe geglaubt, ich war ungezogen“
Nach dem milden Urteil gegen einen Mann, der seine Tochter 17 Jahre lang vergewaltigt und mißhandelt hat, hat das irische Parlament eine Reform der Inzestgesetze verabschiedet ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
„Er ist zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden und wird nach fünf Jahren freikommen“, sagte eine 27jährige Irin nach dem Prozeß gegen ihren Vater vor einem Dubliner Gericht. „Er wird dann nach mir suchen. Er betrachtet mich als sein Eigentum.“ Ihr Vater, ein 48jähriger Engländer, hatte sie 17 Jahre lang auf bestialische Weise gequält, vergewaltigt und mißhandelt. Das milde Urteil hat in Irland wütende Proteste der Bevölkerung ausgelöst und die Justizministerin Maire Geoghan- Quinn in der vergangenen Woche dazu veranlaßt, eine Gesetzesreform im Eilverfahren durch das Parlament zu bringen.
Am Donnerstag entschieden die Abgeordneten aller Parteien, die Höchststrafe für Inzest auf 20 Jahre heraufzusetzen. Bisher lag sie nach einem Gesetz von 1908 bei sieben Jahren. Darüber hinaus können Täter in Zukunft zur Zahlung von „Schadensersatz“ an ihre Opfer verurteilt werden; außerdem können Staatsanwälte gegen zu milde Urteile Berufung einlegen. Die Gesetzesreform muß noch von der zweiten Kammer, dem Senat, verabschiedet werden. Olive Braiden vom Zentrum für vergewaltigte Frauen glaubt jedoch nicht, daß die Reform über Nacht die Situation ändern wird. Der Rechtsanwalt erklärt, daß demnächst vier weitere Inzestfälle vor die Gerichte kommen, bei denen die Täter ebenfalls mit erschreckender Brutalität vorgegangen sein sollen. So sei ein Mädchen nach fortlaufenden Vergewaltigungen durch ihren Vater fünfmal schwanger geworden.
Für die junge Frau, deren Fall die Reform ausgelöst hat, kommt das neue Gesetz zu spät: Ihr Vater wurde noch nach bestehendem Recht verurteilt. „Er ist ein sehr rachsüchtiger Mensch“, sagte sie. „Ich habe Angst vor dem Augenblick, wenn er aus dem Gefängnis entlassen wird.“ Ihr Alptraum begann, als sie zehn Jahre war. „Er kam in mein Schlafzimmer und hat es einfach getan“, erinnert sie sich. „Ich habe geglaubt, daß ich irgendwie ungezogen war und er mich auf seine Art dafür bestrafte.“
Mit 16 bekam sie ein Kind von ihrem Vater. Er zwang seine völlig eingeschüchterte Ehefrau, sich die Pille für die Tochter verschreiben zu lassen. Gleichzeitig verbreitete er in dem kleinen Dorf in der südirischen Grafschaft Kilkenny, seine Tochter sei eine „verdorbene Person, die jeder Hose nachläuft“. Das führte zu weiteren Demütigungen: Regelmäßig riefen Betrunkene bei der Tochter an und fragten, wieviel Geld sie für Sex verlangte und welche Stellungen sie bevorzugte. Ihr heute zehnjähriger Sohn erfuhr erst vergangene Woche durch eine Rundfunksendung, daß sein leiblicher Vater auch sein Großvater ist.
Vergewaltigungen allein genügtem dem bestialischen Vater jedoch nicht. 17 Jahre lang verprügelte er seine Tochter fast täglich und verletzte sie immer wieder schwer: Seit einem Fußtritt ist sie auf einem Auge blind; mit einer Eisenstange brach er ihr mehrere Rippen. Und als eine Kuh, die sie gerade molk, ausschlug und den Vater trat, zertrümmerte er der Tochter mit einem Hammer die Finger einer Hand.
Zweimal flüchtete die verängstigte Frau – einmal nach Dublin, ein anderes Mal nach England. Ihr Vater spürte sie jedoch immer wieder auf und zwang sie, in sein Haus zurückzukehren. Zur Strafe schlug er sie beide Male bewußtlos. Vor Gericht stellte sich nun heraus, daß sowohl das Gesundheitsamt als auch die Polizei seit 1985 über die ständigen Mißhandlungen Bescheid wußten. Ihnen seien jedoch, so behaupten beide Behörden, die Hände gebunden gewesen. Der Grund: Die Frau war bereits volljährig, und um den Vater vor Gericht zu bringen, hätte sie gegen ihn aussagen müssen. Das aber verweigerte sie wegen ihrer panischen Angst vor dessen Brutalität. Lediglich den Dorfarzt weihte sie in ihre grausame Geschichte ein. Als der den Vater anrief und um ein Gespräch bat, holte ihr Vater sie umgehend aus der Praxis ab. Der Arzt aber unternahm nichts.
Im Dezember 1991 schlug der Vater die Tochter so zusammen, daß sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Hier gelang es der Polizeibeamtin Agnes Reddy, Vertrauen bei der verängstigten Frau zu wecken: In monatelangen Gesprächen erfuhr sie die Einzelheiten der 17jährigen Tortur. Der Vater wurde schließlich wegen Inzest und Körperverletzung in 56 Fällen angeklagt. Er bekannte sich in sechs Fällen schuldig und bekam nur sieben Jahre Haft.
Der 49jährige Richter Paul Carney verteidigte sein mildes Urteil damit, daß er die Höchststrafe verhängt habe. Das ist jedoch nur bedingt richtig. So hätte er die beiden Urteile – für die Körperverletzung hatte er fünf Jahre Haft ausgesprochen – addieren können, statt sie gleichzeitig laufenzulassen. Außerdem hätte er den Vater nicht nur wegen Inzests, sondern auch wegen Vergewaltigung verurteilen können. Darauf steht bis zu lebenslängliche Haft.
Carney, der erst vor knapp zwei Jahren Richter wurde, hat in seiner kurzen Laufbahn bereits mehrmals für Schlagzeilen gesorgt. Im vergangenen Sommer verurteilte er einen 40jährigen Mann, der seine 14jährige Tochter vergewaltigt und geschwängert hatte, zu drei Jahren Haft, setzte zwei Jahre davon aber zur Bewährung aus, um seinen „Unmut über bestimmte Strategien der Staatsanwaltschaft“ auszudrücken. Als Carney 1987 noch Staatsanwalt war, wurde ein 22jähriger vom Vorwurf der Vergewaltigung seiner getrennt lebenden Frau freigesprochen, weil Carney der Verhandlung wegen „anderer Verpflichtungen“ täglich nur eine Stunde beiwohnen wollte.
Die Kritik an seinem neuesten Urteil hat ihn offenbar so belastet, daß er noch nach der Sperrstunde in einer Hotelbar trinken wollte. Als ihm das verweigert wurde, begann er zu randalieren und wurde verhaftet. Zwar hat sich Carney inzwischen entschuldigt, doch die Polizei besteht auf einer Verfolgung. Carney muß nun mit einer Anklage wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses rechnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen