: Werben um Chemielobby
■ Störfallkommission: Recht reicht aus Technik und Ausbildung verbessern
Berlin (taz) – Die Chemiewolken, Brände, Explosionen und Wasserverseuchungen bei Hoechst zwangen die Störfall- Kommission (SFK) und den Technischen Ausschuß für Anlagensicherheit (TAA) zu einer Sondersitzung. Neben Ministerialen und Industrievertretern durften am letzten Donnerstag auch ein paar Umweltschützer am Konferenztisch Platz nehmen. An den abwiegelnden Schlußfolgerungen der beiden Gremien aber konnten sie nichts ändern. „Das Störfallrecht reicht für den Umwelt- und Arbeitsschutz grundsätzlich aus“, heißt es in der Stellungnahme der SFK. Lediglich „die Schnittstelle zwischen Mensch und Technik“ müsse verbessert werden. Einerseits wird eine verbesserte Leittechnik gefordert, andererseits genauere Verhaltensanweisungen an die Belegschaft. „In diesem Zusammenhang ist auch eine verstärkte Motivierung der Beschäftigten erforderlich.“ In- und externe Sachverständige sollen die Anlagen regelmäßig überprüfen. Die TAA hat Leitfäden versprochen, wie gefährliche chemische Reaktionen besser beherrscht und in Druckentlastungseinrichtungen aufgefangen werden können.
Die sehr moderate Haltung gegenüber der Chemieindustrie liegt wohl nicht nur in der traditionellen Nähe von Chemieindustrie und -politik begründet. Die Chemieproduzenten drohen auch ständig mit Abwanderung. Während für gentechnische Anlagen vor allem die USA und Westeuropa attraktiv erscheinen, verfolgen sowohl Bayer als auch Hoechst den Plan, die Herstellung von bestimmten Grundchemikalien einzustellen und die Stoffe lieber in Asien einzukaufen. Erst am 8. März hatte Hoechst die Schließung von vier Betrieben mit rund 300 Arbeitsplätzen verkündet. Nach Informationen der Arbeit und Ökologie Briefe erhielt die Belegschaft explizit die Begründung, daß die Stoffe künftig in der Dritten Welt beschafft würden, wo sie um mehr als die Hälfte billiger seien. Diese Preisdifferenz ergäbe sich zu zwei Dritteln aus niedrigeren Lohnkosten und zu einem Drittel aus niedrigeren Umweltauflagen. Die Firmenleitung hat ein Konzept erarbeitet, im Bereich der Farbstoffproduktion die aromatischen Amine insbesondere in Indien einzukaufen und nur noch die Endprodukte in Deutschland herzustellen. Die Chemieindustrie ist trotz der jüngsten Unfallserie und trotz Bhopal der Überzeugung, die Sicherheitsauflagen seien zu hoch. Annette Jensen
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