: Billy Graham, Wanderprediger, Missionar und Schausteller reißt die Massen nicht vom Hocker. Bereits Bekehrte lassen sich in ihrem Glaubens- und Weltbild bestätigen und lauschen wohlwollend diesem Vermeiden rationaler Gedanken und logischer Verbindungen Von Bascha Mika
Feurig wie Wim Thoelke
„Der Teufel hat Euch in den Krallen!“ donnert die Stimme des Predigers durch den Saal. „Ihr seid verruchte Sünder! Wollt Ihr abschwören?“ „Ja! Ja!“ stöhnt die tausendköpfige Gemeinde gequält und verzückt auf. „Kommt zu Jesus!“ „Jaa!“ „Jesus liebt Dich!“ „Ja!“ Ein himmlisches Licht strahlt von der Kanzel, die Menschen fallen sich schluchzend in die Arme, weinen, tanzen vor Glück.
Alles Zinnober. So mag es abgehen, wenn sich enthusiastische Christen von einem göttlichen Geißler erwecken lassen. Aber doch nicht von Billy Graham! Die Essener Gruga-Halle ist hell und kalt ausgeleuchet. Siebentausend Menschlein sitzen ordentlich aufgereiht in freundlicher Erwartung. Ebenso übersichtlich die Bühne: vorne ein Rednerpult, hinten der Chor, schräg dazwischen Stuhlreihen für die Honoratioren. Alles läuft pünktlich, professionell. Wie beim Zahnärztekongreß, nur soll hier in der Karies der Seele gebohrt werden.
„Okay Jesus, ich weiß, daß du da bist“, erzählt Cliff Richard dem Mikrofon. „Billy Graham wird uns die Grundnahrung für unser Leben verkünden“, erzählt Ulrich Parzany, Vorstandsvorsitzender des Evangelisationskomitees „Pro Christ 93“. Richard und Parzany heizen dem Publikum so richtig ein – feurig wie Wim Thoelke. Parzany fordert das Publikum auf, reichlich zu spenden. Der Chor singt: „Herzen, die kalt sind wie Hartgeld...“, schafft aber keinen sauberen Einsatz, weil der Dirigent mit dem Gesicht zum Saal – und den Fernsehkameras steht.
Und dann tritt er auf: der große Zampano. Beruhigendes Lächeln, teurer Anzug, maßgeschneiderte Zähne. „Mir fehlen die Worte“, beginnt Billy Graham seine Ansprache, aber dann redet er doch flott weiter, wie ein Schausteller. Von den vielen Menschen, die sich versammelt hätten, den unermüdlichen Helfern, von seinem Sohn und dem Krieg in Bosnien. Der neben ihm stehende Dolmetscher kommt außer Atem. Graham spricht und erhebt immer wieder die Hände, als wollte er jetzt gleich den Segen verteilen. Der Dolmetscher macht es ihm nach.
58 Staaten haben sich an der Evangelisationskampagne beteiligt; allein im deutschsprachigen Europa sind 386 Orte per Satellit live dabei; selbst in Nowosibirsk erschallt die Botschaft des Propagandaministers Gottes, die da lautet: „Der moderne Mensch ist ethisch und geistlich ins Gleiten gekommen, verwirrt und voller Ängste.“ Die Menschen im Saal muß der Redner nicht erst überzeugen. Sie sind schon bekehrt. Sanft lächelnd lassen sie sich von ihrem Guru in ihrem Glaubens- und Weltbild bestätigen. Der berichtet gerade von einer Begegnung mit einer Atheistin: „Warum läßt ein Gott der Liebe soviel Leid zu?, hat sie gefragt. Und ich habe geantwortet: So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er sogar seinen Sohn schickte.“ Diese Logik ist offenbar nur Gläubigen verständlich. Und davon gibt es hier reichlich.
Die Halle ist voll mit praktizierenden und in der Regel sehr frommen Christen. Viele von ihnen kommen wie die 13jährigen Zwillinge Simone und Julika aus freikirchlichen Gemeinden, sind selber Baptisten, wie Billy Graham. „Ich wollte ihn einfach mal so sehen“, sagt Simone, „und auch, weil doch Cliff Richard dabei ist.“ „Sag, daß du hier bist, um was von Gott zu hören“, flüstert die Mutter ihr zu. „Ach ja, das auch“, antwortet Simone brav.
Derweil feuert das „Maschinengewehr Gottes“ weitere Salven ab. Oder versucht es wenigstens. Denn was der alte Mann durchmoduliert und steril abspult, ist eine Pappversion. Im Originalton: „Mit Raissa Gorbatschowa hatte ich eine wundervolle Diskussion über Religion und Philosophie. Und sie hat gesagt: Irgendetwas ist da oben größer als wir. Da oben ist die Milchstraße. Und kürzlich wurde eine neue Galaxis entdeckt. Es gibt keine letzten Antworten, wenn wir nicht an Gott glauben.“
Stilles Glück spiegelt sich auf den Gesichtern der ZuhörerInnen. Sie lauschen diesen diskontinuierlichen, hastigen Sätzen, diesem Vermeiden rationaler Gedanken und logischer Verbindungen mit ungebrochen wohlwollendem Interesse. „Wir leben in einer Chaos- Welt“, sagt ein junger Mann, „wo Menschen nach Antworten suchen und nach dem Sinn des Lebens. Für mich hat Billy Graham absolute Antworten gegeben.“ Als Dank dafür verlangt der Prediger am Ende der Vorstellung, daß die ZuschauerInnen sich bekennen und nach vorne kommen. „Eine kleine, feine Stimme sagt: Komm! Das ist die Stimme Gottes.“ Trotzdem versuchen einige, sich die Mäntel anzuziehen und nach Hause zu gehen. „Niemand verläßt den Saal“, ruft Graham. Da entschließen sich die ersten, vor der Bühne zu erscheinen. Sie werden von wartenden SeelsorgehelferInnen empfangen. Später wird man ihnen noch Multiple-choice-Kärtchen in die Hände drücken und nach ihrem Namen fragen, damit ihn die „Billy Graham Association“ in ihrem Computer speichern kann. Auch der Weg zu Gott hat schließlich seine Ordnung. „Das ist alles nicht wichtig“, behauptet einer aus der Fangemeinde, „der Kernpunkt ist, was Billy Graham sagt. Und das ist die reine Botschaft. Das kommt rüber.“
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