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Die Bahn AG – sonst nichts

Für eine Reform der Deutschen Bahnen fehlt noch immer ein schlüssiges Konzept/ Ungelöst bleibt auch die Kernfrage: Wer soll das bezahlen?  ■ Von Florian Marten

Hamburg (taz) – Nur neun Monate vor dem Start in ein neues Bahnzeitalter herrscht hinter den Kulissen des Transportgiganten „Deutsche Bahnen“ großes Durcheinander. Während die Öffentlichkeit über Mineralölsteuer und Autobahn-Vignette debattiert, wohl wissend, daß am Ende Autofahrer und Steuerzahler die Bahnreform finanzieren, prophezeit eine wachsende Zahl von Experten hinter vorgehaltener Hand, was offen noch niemand auszusprechen wagt: Die Deutschen Bahnen sind kaum reformfähig.

Unsicher ist schon, ob am 1. Januar 1994 wirklich eine Deutsche Bahn AG das Licht der Handelsregister erblickt; auch wenn Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) am Sonntag erneut verlautbarte, daß „die Bundesregierung an der Umsetzung der Bahnreform zum 1. Januar 1994 auf jeden Fall festhalten“ wolle. Tatsache ist: Die Bundesregierung hat die Kernfrage, die der Finanzierung nämlich, noch überhaupt nicht im Griff. 13 Pfennig Mineralölsteuer jedenfalls reichen nicht aus. Denn die Bahnreform selbst ist nur Mittel zum eigentlichen Zweck, der Bahnsanierung.

Bahnchef Heinz Dürr, Herr über 450.000 Eisenbahner in Ost und West: „Die Deutschen Bahnen sind der größte Sanierungsfall in der deutschen Wirtschaftsgeschichte überhaupt.“ Der bürokratische Transportgigant, von den preußischen Militärs einst genau auf die Kriegführung der Weltkriege I und II zugeschnitten, muß in ein modernes Transportdienstleistungs-Unternehmen umgemodelt werden. Dürr wedelt zuversichtlich mit dem Mantel der Geschichte: „Das 19. Jahrhundert wurde das Jahrhundert der Eisenbahn genannt. Warum eigentlich sollte das für das 21. Jahrhundert nicht wieder gelten?“

Die rauhe Verkehrswirklichkeit zeigt ein anderes Bild: Im Güterverkehr verliert die Bahn weiter an Boden. Die Rezession tut ein übriges. Im Osten hat der Personenverkehr einen drastischen Einbruch erlitten. Die Renaissance der Bahn hat noch längst nicht begonnen. Statt klarer Konzepte prägen große Fragezeichen den Ablauf der Bahnsanierung: Der Bahn ist unklar, wie sie neue Anforderungen im Güterverkehr bewältigen, den Personennahverkehr gestalten, die Kooperation der europäischen Staatsbahnen wuppen und im zukünftigen Wettbewerb mit privaten Schnäppchenjägern bestehen soll. Die Bahn kann bis heute nicht betriebswirtschaftlich kalkulieren (Trassenpreise, Zugkosten) und zuckt vor dem Problem ihres human capital zurück, den 450.000 Mitarbeitern, 250.000 West, 200.000 Ost.

100.000 bis 150.000 davon, so schätzen Experten, sind überflüssig. Wasserköpfige Verwaltungen, absurd gestaffelte Hierarchien und der technische Rückstand der Reichsbahn – die Bahn braucht ein völlig neues Personalkonzept.

Dürr hat bislang bewußt verzichtet, diese heißen Eisen anzufassen. Er will zunächst die Bahn den Klauen von Verkehrsminister und Finanzminister entwinden, Schulden loswerden und fresh money bunkern. Ohne den Breitwandkonsens von Industrie, CSU, SPD und Eisenbahngewerkschaftern, so weiß Dürr, ist das nicht zu schaffen. Eine knallharte innere Sanierung hätte dieses erforderliche Bündnis sofort gesprengt. Dürr versorgte die Heimatfront deshalb fürsorglich mit verbalen Carepaketen: Niemand werde entlassen, nach der Bahnreform werde alles besser. Heute herrscht hinter den Kulissen der Bahn eine eigentümliche Mischung aus trotzigem Optimismus, Angst um liebgewordene Besitzstände und blanker Panik. Jeder weiß hier, daß die Deutsche Bahn AG nur dann schwarze Zahlen schreiben kann, wenn sie brutal rationalisiert. Vor allem bei den 130.000 BahnbeamtInnen, in der Verwaltung und im Osten herrscht Unsicherheit. Entlassen, so die aktuelle Planung, wird tatsächlich niemand. Aber: 100.000 bis 150.000 Eisenbahner werden aus der Bahn AG ausgegliedert und bei einem Bundessondervermögen angestellt. Dort steht Theo Waigel für die Gehälter gerade, ohne bislang zu wissen, womit er das bezahlen soll. Bei Bedarf werden die Bundes-BahnerInnen an die Bahn-AG gegen Cash ausgeliehen. Im Osten wird bereits geübt: Dort arbeiten heute schon 20.000 im sogenannten Überhang. Das heißt: Sie arbeiten zwar bei der Reichsbahn, sind aber eigentlich überflüssig.

Ein neues Personalkonzept gibt es bislang aber nicht. Im Sommer letzten Jahres scheiterte Dürrs Versuch, seine Spitzenbeamten eigene Konzepte für die neue schlanke Bahn stricken zu lassen: Ein Großteil der BeamtInnen schusterte sich riesige neue Abteilungen zusammen, um nach der Reform entsprechend gut dotierte Posten einnehmen zu können. Hektisch riß Dürr das Steuer um und engagierte den Consulting- Giganten Roland Berger und Partner: Die Berger-Boys basteln gegenwärtig parallel an einem neuen Bahnkonzept und an einem der größten Schulungsprojekte aller Zeiten, dem „Projekt 100000“. Der gesamte Mittelbau der Bahn, mehr als 100.000 EisenbahnerInnen, soll in einem Crash-Kurs den Übergang vom hierarchischen Transportverwalter zum modernen Verkehrsdienstleister wenigstens kopfmäßig mal antesten. Bei der „generalstabsmäßigen Großübung“, so Projektleiter Volker Wiegmann von Roland Berger, wird der Bahnmittelbau mit so anspruchsvollen Lernzielen wie Projektarbeit, Gruppenarbeit, flachen Hierarchien, Problemlösungsorientierung, Planing, Controlling, Ergebnisverantwortung und Kosten/Nutzen-Denken konfrontiert. Eine Kopfwäsche in gewaltigen Dimensionen, detailliert vertaktet im 10-Wochen-Rhythmus, die im Herbst 1994 abgeschlossen sein soll.

Ob die Berger-Boys bewegen, was den Bahn-Beamten bislang nie gelang: neues Denken und eine neue Bahn? Bahn-Insider schütteln bedächtig den Kopf: Das Berger-Engagement zeige nur, wie dilettantisch die Bahn sich auf ihre Jahrhundertaufgabe vorbereite. Bahnchef Dürr kümmert das alles wenig. Er hält es mit Marlene Dietrich: Probleme umschwirrn mich, wie Motten das Licht – ich will Bahn AG nur – und sonst gar nichts.

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