: Riesenmehrheit für Frankreichs Rechte
■ Nach ersten Hochrechnungen errangen die Sozialisten bei den Parlamentswahlen ganze 19,4 Prozent/ Front National auf dem dritten Platz
Paris/Berlin (AFP/AP/taz) – Für die französischen Sozialisten hat gestern abend die Stunde der Wahrheit geschlagen: ersten Hochrechnungen zufolge gaben bei der ersten Runde der Parlamentswahlen ganze 19,4 Prozent der WählerInnen der bisherigen Regierungspartei von Staatspräsident François Mitterrand ihre Stimme. Die Sozialistische Partei blieb damit noch unter der 20-Prozent-Marge. In ersten Reaktionen im sozialistischen Hauptquartier war von einer „Kriegserklärung an die Welt der Arbeit“ die Rede.
Als eindeutiger Sieger gingen, wie erwartet, die bürgerlichen Rechtsparteien, die sich in der „Union pour la France“ zusammengeschlossen hatten, mit 40,5 Prozent der Stimmen aus dem ersten Wahlgang hervor. Im bürgerlichen Lager zeichnete sich dabei zunächst ein Übergewicht für die neogaullistische Sammlungsbewegung RPR unter Jacques Chirac gegenüber der konservativen Partei UDF von Valérie Giscard d'Estaing ab, dem traditionell stärkeren Partner des Wahlbündnisses. Eine Verschiebung, die im Falle ihrer Bestätigung durch die endgültigen Ergebnisse Konsequenzen für die Wahl des neuen Regierungschefs hat. Um Koalitionspartner brauchen sich die Bürgerlichen nicht zu sorgen: aufgrund des französischen Wahlrechts können sie mit 440 bis 460 der insgesamt 577 Sitze der Nationalversammlung rechnen und haben damit die absolute Mehrheit errungen.
Im Gegensatz zu zahlreichen Prognosen landeten auf Platz drei nicht die Umweltparteien „Génération Écologique“ und „Les Verts“, die ebenfalls ein Bündnis eingegangen waren, sondern die rassistische Front National von Jean-Marie Le Pen mit 12,9 Prozent der Stimmen. Die Umweltparteien lagen bei ganzen 7 bis 8 Prozent noch hinter den Kommunisten mit 9 Prozent der Stimmen.
Nach einem flauen Wahlkampf blieben gestern zahlreiche der rund 38 Millionen Wahlberechtigten den Urnen fern: Die Zahl der NichtwählerInnen lag bei über 30 Prozent. Bei dem ersten Durchgang der letzten Parlamentswahlen im Jahre 1988 belief sie sich zwar auf 33,9 Prozent, doch damals folgte der Urnengang kurz auf die Präsidentschaftswahlen, die von vielen WählerInnen als wichtiger eingeschätzt worden waren. Die Sozialisten hatten sich im Falle einer guten Wahlbeteiligung bessere Chancen ausgerechnet und wenigstens auf eine „Achtungsniederlage“ gehofft. Die Wahllokale schlossen auf dem Land um 18 Uhr, in den größeren Städten erst um 20.00 Uhr.
Um die Mandate in der Nationalversammlung – davon entfallen 555 Sitze auf Frankreich selbst und 22 auf die Überseegebiete – bewarben sich 5.031 KandidatInnen. Wegen des in Frankreich geltenden Mehrheitswahlrechts findet die Abstimmung in zwei Durchgängen statt. Ins Parlament gewählt sind die Bewerber in einem Wahlkreis, die im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichten. Sollte dies bei keinem der Fall sein, können sich am kommenden Sonntag diejenigen erneut zur Wahl stellen, die in der ersten Runde mehr als 12,5 Prozent der Stimmen erhalten haben. Die neue Nationalversammlung tritt am 2. April in Paris zusammen, um ihren Präsidenten zu wählen.
Mit dem Sieg der bürgerlichen Parteien ist das eingetreten, was die Franzosen als cohabitation oder coexistence bezeichnen: Einem sozialistischen Staatspräsidenten steht ein konservativer Premierminister gegenüber. Dieser Fall ist in der 1958 ausgerufenen V. Republik erst einmal aufgetreten – als nämlich von 1986 bis 1988 der Gaullist Jacques Chirac Regierungschef unter Präsident François Mitterrand war.
Die französische Verfassung ist so konzipiert, daß sie voraussetzt, daß Staatsoberhaupt und Ministerpräsident der gleichen Mehrheit im Parlament angehören. Im Falle einer cohabitation – wörtlich: Beisammenwohnen – müssen sich beide Seiten arrangieren. Zwar hat der Staatspräsident die Möglichkeit, die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen; eine solche Maßnahme hätte im Zusammenhang mit der cohabitation verfassungspolitisch aber den Charakter eines Staatsstreiches. Schließlich können sich sowohl Parlament als auch Präsident dadurch legitimieren, daß sie direkt vom Volk gewählt wurden.
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