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Konsequent zwischen den Stühlen

Bulgarien, einst die Schweiz des Balkans, kämpft mit seinen Tücken: Die politischen Verhältnisse verhindern ein wirksames Krisenmanagement  ■ Aus Sofia Keno Verseck

Stoimen Kerestiliev, genannt Kimbo, wollte immer schon Unternehmer werden. „Ich habe nur darauf gewartet, daß die Kommunisten endlich verschwinden und dann zugeschlagen.“ Der kleine, rundliche Mann mit den graumelierten Haaren und dem Vollbart lacht. Sein halbes Leben lang arbeitete der 44jährige als Regisseur beim bulgarischen Fernsehen. Den Zusammenbruch des Kommunismus hat Kimbo energisch, als wäre er zwanzig Jahre jünger, von der praktischen Seite genommen. Er verpfändete seine Wohnung, nahm einen Kredit auf und verwandelte eine alte Garage am Sofioter Pariarch-Eftimij-Boulevard in ein Café. „Ein Jahr lang hab' ich alles ausgebaut, dann eröffnet, ganz ohne Werbung. Heute kennt jeder in der Stadt mein Café, und ich kann davon gut leben.“

Von Kimbos Sorte gibt es in Sofia Zehntausende. In keiner anderen Stadt Osteuropas finden sich so viele neue Cafés, Läden, elegante Boutiquen und Nobel-Restaurants. Das Warenangebot steht dem einer westlichen Metropole ebenso wenig nach wie die Vielzahl teurer Limousinen und das tägliche Verkehrschaos. Doch der Eindruck eines bevorstehenden Wirtschaftswunders, den die Hauptstadt hinterläßt, täuscht. Das wegen seiner Treue zum „Großen Bruder“ einstmals als 16. Sowjetrepublik apostrophierte Land wird nicht so bald das werden, was es zu Vorkriegszeiten einmal war: die Schweiz des Balkans.

Obwohl das Land strukturell nicht die schlechtesten Voraussetzungen für den Übergang zur Marktwirtschaft besitzt, ist ein baldiges Ende der tiefen Wirtschaftskrise auch dreieinhalb Jahre nach dem Sturz des Langzeitdiktators Todor Schiwkow nicht in Sicht. In den letzten beiden Jahren sank das Bruttoinlandsprodukt um über ein Viertel, die Industrieproduktion um rund 40 Prozent. Die Inflation betrug 1992 etwa 80 Prozent, die Arbeitslosenzahl schnellte auf 600.000 hoch — das sind 15,3 Prozent der Erwerbstätigen.

Dieser Trend werde sich in diesem Jahr kaum umkehren lassen, meint Svetoslav Gavrijski, Vize-Finanzminister in der seit Ende Dezember letzten Jahres amtierenden Regierung Ljuben Berov. Seine meistgebrauchte Redewendung lautet: „Ich hoffe, daß... — aber ich glaube es nicht.“ Fortschritte bei der ökonomischen Stabilisierung, so Gavrijski, sollen bis Jahresmitte erzielt werden, aber das werde kaum zu erreichen sein.

Bislang haben vor allem die politisch polarisierten Verhältnisse im Land ein wirksames Krisenmanagement verhindert. Die beiden Koalitionsblöcke der Sozialisten und Demokraten waren im Parlament bis vor kurzem nahezu gleich stark vertreten und verstrickten sich in der Vergangenheit immer wieder in ideologische Schlachten. Die Ende Oktober gestürzte Regierung unter Filip Dimitrow hatte sich zudem die sogenannte Restitution des von den Kommunisten nach 1947 enteigneten Besitzes als Hauptaufgabe auf die Fahnen geschrieben und andere Reformen vernachlässigt. Wegen der Vielzahl von Anträgen und bürokratischer Verfahren ist jedoch anderthalb Jahre nach Beginn der Restitution noch nicht einmal die Hälfte aller Einheiten zurückgegeben worden. Von der oftmals unklaren Eigentumslage ist vor allem die Landwirtschaft betroffen: die Lebens- und Futtermittelproduktion brach drastisch ein.

Daneben haben äußere Faktoren die Krise des Landes vertieft: Durch seine auch für Ostblockverhältnisse extrem enge Anbindung an die Ex-Sowjetunion traf der Zerfall des RGW das Land besonders empfindlich. Weitere wichtige Märkte verlor Bulgarien durch die UNO-Embargos gegen den Irak und Serbien/Montenegro. Nach Schätzungen belaufen sich die Verluste auf zwei- bis zweieinhalb Milliarden Dollar. Allein das Embargo gegen Rest-Jugoslawien hat der bulgarischen Ökonomie seit Juni letzten Jahres rund 1,2 Milliarden Dollar Verluste gebracht. Eine Kompensation dafür haben die Bulgaren trotz aller Bitten ihrer Politiker nicht erhalten.

Umgekehrt lastet ein Schuldenberg von mehr als 11 Milliarden Dollar auf Bulgarien. Seitdem das Land im März 1990 ein Schuldenmoratorium verhängte, ist weder mit dem Londoner Club der Privatgläubiger noch mit dem Pariser Club der Staatsschuldner ein Abkommen über die Modalitäten der Rückzahlung zustande gekommen. Das im Privatisierungsgesetz vorgesehene Modell „Unternehmensbeteiligung gegen Schulden“, daß den Schuldenberg verringern und Investoren anziehen sollte, hat bislang nicht funktioniert.

Die Regierung des parteilosen Ökonomen Ljuben Bevov legte Mitte Februar ein ehrgeiziges Antikrisenprogramm vor, das eine Belebung der Produktion und eine schnelle Privatisierung anstrebt, aber auch die soziale Situation verbessern will. Doch schon eine der ersten Maßnahmen, eine vierzigprozentige Benzinpreiserhöhung, führte zu heftigen Protesten der Gewerkschaften und der Sozialisten-Koalition. Die Regierung mußte daraufhin ihre Zahlen für soziale Kompensation nach oben modifizieren. Gleichzeitig wächst der Rücktrittsdruck auf Berov und seine Minister. Nicht nur alle Politiker Bulgariens, sondern auch Regierungsmitglieder selbst gestehen sich inzwischen kaum mehr politische Überlebenschancen zu.

Kimbo schüttelt über solche Verhältnisse resigniert mit dem Kopf. Er will sich nur noch auf sich selbst verlassen und seine lang gehegten Pläne verwirklichen. „Auf jeden Fall“, sagt er augenzwinkernd, „habe ich etwas Größeres vor, vielleicht mache ich ein Hotel am Schwarzen Meer auf.“ Für die Misere in seinem Land hat er eine bestechend einfache Erklärung. „Die Politik in diesem Land ist einfach zu bulgarisch.“

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