: Die Insel der historischen Kompromisse
■ Mit der Entscheidung für die Ansiedlung des Außenministeriums auf der Spree- insel wird die historische Mitte Berlins von jeglichem urbanen Leben befreit
Noch am Montag äußerte sich der künftig prominenteste Bewohner der historischen Mitte Berlins ausgesprochen ungehalten über seine neuen Nachbarn. Er habe das Gefühl, so Außenminister Klaus Kinkel, „daß die Berliner uns freundlicher aufnehmen sollten“. Immerhin sei er nicht derjenige, der dieses Domizil in bester Lage gefordert habe. Auch wenn er ihn nicht ausdrücklich gewollt hat, erhält Kinkel nun seinen Ministeriumssitz an der prominentesten Adresse der Stadt. Für seine gut 2.000 Mitarbeiter wird an der Stelle, an der früher das Berliner Schloß und ab 1976 der Palast der Republik stand, ein Neubau hochgezogen. Auf diesen „konkreten Beitrag zur Unumkehrbarkeit“ des Hauptstadtbeschlusses einigten sich gestern im Berliner Reichstag Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP) und Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU).
Neben dem Außenministerium sollen auf dem Areal auch ein Konferenzzentrum und eine Bibliothek untergebracht werden. Der Palast der Republik, der seit dem Sommer 1991 wegen Astbestverseuchung leersteht, wird abgerissen. Die genaue Gliederung des Areals wird bis zum Ende des Jahres in einem städtebaulichen Wettbewerb entschieden werden. Nach der Entscheidung über das Regierungsviertel am Spreebogen wurde mit der gestrigen Vereinbarung die zweite und letzte wesentliche Festlegung über die zukünftige Gestalt des Regierungssitzes getroffen. Vorausgegangen war eine monatelange Auseinandersetzung zwischen Berlin und Bonn, der Außenminister hatte von Anfang an darauf bestanden, einen Neubau in Berlins Mitte zu erhalten. Aus diesem Grund lehnte er die von Berliner Seite favorisierte Unterbringung im alten Gebäude der Reichsbank im Zentrum der Stadt ab. Der Bau, in dem ab 1959 das ZK der SED hauste, behagte ihm nicht, obwohl es dort nur eines Erweiterungsbaues bedurft hätte, um die vom Außenministerium beanspruchten 72.000 Quadratmeter Nutzfläche unterzubringen. Kinkel bestand auf einen Neubau. Der Weg dorthin wurde frei, als Bundespräsident von Weizsäcker am 16. März in einer Runde mit Diepgen und Kohl erklärte, daß er bereits zum Ende des Jahres seinen Amtssitz nach Berlin verlegen werde, jedoch nicht in das ihm zugedachte Kronprinzenpalais an der Spreeinsel. Ein Umzug dorthin hätte den Bundeshaushalt mit 550 Millionen Mark belastet und damit der Debatte um die Hauptstadtkosten neue Nahrung gegeben. Aus diesem Grund verzichtete Weizsäcker auch auf das Angebot Diepgens, einen Präsidentensitz auf der Spreeinsel an der Stelle des Palastes der Republik zu errichten. Weizsäcker nahm damit auch auf die Vorbehalte vor allem der Ostberliner Rücksicht, die in historischer Verklärung an dem letzten Sitz der Volkskammer festhalten.
Über diese Stimmungslage setzte sich Diepgen hinweg, als er nun Kinkel diese zentrale Residenz anbot. Berlins Bürgermeister wollte um jeden Preis von der gestrigen Sitzung Ergebnisse mit nach Hause bringen, befürchtete er doch angesichts der sich neu formierenden Umzugsgegnerschaft einiger Bonner Hinterbänkler eine Verzögerung der Hauptstadtplanung. Die Festlegung des heimlichen Bonn-Befürworters Kinkel war ihm da das richtige Zeichen — auch um den Preis, daß dadurch die zu DDR-Zeiten betriebene großformatige Besetzung der historischen Mitte mit Regierungsbauten ihre Fortsetzung findet.
Noch vor einem Jahr hatte die Planungsgruppe „Spreeinsel“ des Berliner Stadtentwicklungssenators Hassemer (CDU) gefordert, daß das Ordnungsprinzip für diesen Bereich nicht „das der Hauptstadt eines zentralistisch, diktatorisch regierten Staates sein“ kann. Mittlerweile betrachtet ihr Dienstherr die Entwicklung pragmatischer. „Unverkrampft und flexibel“, so Hassemer, möge die Bundesregierung umziehen – getreu dem Motto: „Von Berlin aus regieren heißt klüger regieren.“ Dieter Rulff, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen