: Alte Neue Welt: Leoporelli
■ Überseemuseum zeigt Bilderhandschriften der Maya und Azteken aus vorkolonialer Zeit
Alte Neue Welt: Leporelli
Überseemuseum zeigt Bilderhandschriften der Maya und Azteken aus vorkolonialer Zeit
Die Täfelchen an der Wand sehen aus wie Memory-Kärtchen. Dahinter verbirgt sich kein Spiel, sondern ein komplizierter indianischer Kalender. Es sind die zwanzig Tageszeichen im Kultkalender der Azteken: Schlange, Wind, Jaguar, Tod ... Eine Woche hatte 13 Tage, dann begann die Zählung von neuem. So wird jedem Tageszeichen eine andere Zahl zugeordnet, bis sich der Zyklus nach 260 Tagen wiederholt. „Nicht zufällig entspricht der Zyklus der Schwangerschaft einer Frau“, glaubt Viola König, die Leiterin des Überseemuseums.
Eine kleine, feine Ausstellung im Bremer Überseemuseum zeigt die mexikanischen Bilderhandschriften, auch Codices genannt, aus der vorkolonialen Zeit. „Nach den Dinos und dem Jüdischen Kulturbund“ fand Viola König, es an der Zeit, sich auf die „eigentlichen Ziele“ des Museums zu besinnen: „Wir wollen Verständnis für andere Kulturen wecken, andere Denkweisen, die nichts mit der westlichen Kultur, die heute die beherrschende ist, zu tun haben.“
Wer sich in die bunten Reproduktionen der Codices vertieft, die wie Leporelli aufgefaltet in den Schaukästen liegen, wird blutrünstige Geschichten und überraschende Details entdecken: Den Meuchelmord im Schwitzbad, den der gefürchtete Mixetekenherrscher „Acht Hirsch Jaguarkralle“, an seinem Halbbruder beging; eine ausschweifende Göttin des Rausches auf dem Agaventhron und fiese, riesenhafte Insekten, die sich über Maiskolben, das Grundnahrungsmittel der indianischen Völker hermachen und die Ernte vernichten.
Nebenbei erzählt die Ausstellung auch die blutige Geschichte der Entdeckung und Eroberung Amerikas und der Vernichtung einer Kultur. Die Eroberer hielten die Bilderschriften, die sie bei den „kulturlosen“ Heiden fanden, immer noch für gefährlich genug, um sie zu verbrennen. Weniger als 20 dieser Codices sind heute noch erhalten und lagern in Bibliotheken und Museen der Alten Welt: In Wien, Paris, Bologna, Dresden oder Madrid.
Erst Alexander von Humboldt begann die Neue Welt und ihre Kultur neu zu entdecken. Staunend stand der Wissenschaftler vor den Zeugnissen der Maya- Kultur, der „Griechen Altamerikas“, wie er sie nannte und begann, die indianischen Codices zu interpretieren. Jahrzehntelang mühten sich Archäologen und Altamerikanisten, die Handschriften zu entziffern und entdeckten, daß sie Zeugnis von einer komplexen Kultur ablegten. Die Geschichte ganzer Dynastien ist in einigen der Handschriften festgehalten. Diemut Roether
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen