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Nachtgebet für Rheinhausen

Jahrzehntelang tickte die Stadt im Takt mit der Hütte – soll das jetzt alles auf einmal zu Ende sein?/ Die Kruppianer schwanken zischen Resignation und Kampfeswillen  ■ Aus Rheinhausen Walter Jakobs

Jedesmal wenn der Diaprojektor neue Gesichter, Szenen oder markante geographische Stationen des Protestes an die Frontseite der Rheinhausener Erlöserkirche wirft, kommt die Erinnerung wieder hoch. „Das war ich“, flüstert einer, als eines der bekanntesten Motive aus dem vergangenen Arbeitskampf an der Wand prangt: Duisburg – tothausen. Drei mit dickem Pinselstrich auf das gelbe Ortseingangschild gemalte Buchstaben, so sah der junge „Kruppianer“ seinerzeit die Zukunft seines Stadtteils.

Jetzt, fünf Jahre später, wähnen viele in der Erlöserkirche wieder das Ende für Rheinhausen gekommen. Der junge Mann, der einst den Pinsel schwang, studiert inzwischen an der Dortmunder Sozialakademie und findet es „jetzt schade, daß ich nicht mehr auf der Hütte bin“. An vielen Protestaktionen nimmt er gleichwohl teil. Der Freund von harter Punk-Musik hat heute zusammen mit einigen hundert Rheinhausenern den Weg in die Kirche gefunden, um zu hören, „was der Franz erzählt“. Franz Steinkühler, der Vorsitzende der IG Metall, Hans Berger, Chef der IG Bergbau und Energie, und der Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, Peter Beier, sind zum politischen Nachtgebet eingeladen worden, weil, so beschreibt Pfarrer Dieter Kelp das Ziel, „wir jenseits der schrillen Töne ein Stück hintergründiges Nachdenken initiieren wollen“. Während der Gesamtbetriebsrat der Krupp Stahl AG weiter unverdrossen erklärt, „wir gehen davon aus, daß es möglich ist, ein tragfähiges Konzept zu entwickeln, das beide Standorte – Rheinhausen und Dortmund – berücksichtigt“, stand beim „Nachtgebet“ die Gestaltung des Wandels, „der sein muß“, so der Duisburger IG-Metall-Chef und Mitveranstalter Peter Gasse, im Vordergrund. Zeit, Solidarität und Hoffnung brauche man dafür. Dabei, so beschreibt Franz Steinkühler die Position der Gewerkschaftsführung, „kann es speziell in Rheinhausen keine Abbauentscheidung ohne klare Aufbauperspektive geben“. Das ist gewiß ein mit Bedacht gewähltes Kompromißsignal, mit dem Steinkühler an diesem Abend jedoch nicht auf den leisesten Widerspruch stößt. Das mag an der von Bach- und Beethoven-Klängen eingerahmten, besinnlichen Gesprächsatmosphäre gelegen haben, oder daran, daß es sich auch für einen zornigen Stahlkocher nicht ziemt, in kirchlichen Räumen lauthals zu protestieren. Vielleicht beruht die ungeteilte Zustimmung aber auch auf neue Einsichten.

Steinkühler hat in Rheinhausen anderes erlebt. Als sich der IGM- Chef, der jetzt Rheinhausen als „ein Ort des mutigen Wehrens, des konkreten Gemeinsinns und der praktizierten Solidarität“ rühmt, 1987 nach wochenlangem Abtauchen endlich vor Ort zeigte, hielten ihm aufgebrachte, enttäuschte Stahlkocher vor: „Warum kommst du erst jetzt? Wir kämpfen hier, und du hast dich nicht blicken lassen!“

Ein paar Minuten Fußweg von der Erlöserkirche entfernt, am Tor 1 der Krupp-Hütte, wäre die „Versöhnung“ mit dem Vorsitzenden wohl auch an diesem Sonntag kaum gelungen. Hier brennen seit Bekanntwerden der Schließungspläne wieder die Koksöfen, hier halten die aktivsten der Belegschaft rund um die Uhr Mahnwache, hier herrscht ein anderer Ton. Von der morgigen Stahlarbeiterdemonstration in Bonn erwartet man nicht sehr viel. „Ach, hör mir auf, das interessiert die Politiker doch nicht. Was jetzt hilft, ist nur noch Gewalt. Dann bewegen die sich. Das haste doch beim Asyl gesehen“, sagt ein knapp fünfzigjähriger, im feinen Freizeitlook gewandeter Stahlkocher. Manche der Umstehenden nicken, andere widersprechen vehement: „Komm mir nicht mit dem Scheiß, das bringt auch nichts.“ Wie aber läßt sich das Blatt wenden? Dietmar Hauschke, ein Aktivist der ersten Stunde, verlangt auch jetzt einen entschlosseneren Kampf. Mit Blick auf die militanten Proteste französischer Bauern und Fischer sagt Hauschke. „Die machen es richtig.“ Männer wie Hauschke haben die herrschende Politik restlos satt. Zur Wahl wird er beim nächsten Mal nur gehen, um zu verhindern, daß die Rechtsradikalen von einer niedrigen Wahlbeteiligung profitieren. In der Wahlkabine will er seinen Protest nach heutigem Stand durch ein „ungültig“ dokumentieren. Vielleicht kann Gregor Gysi die Entscheidung noch beeinflussen. Der frühere PDS-Chef, der vor ein paar Tagen die Rheinhausener Stahlkocher besuchte, hat ihm gut gefallen, ihn aber noch nicht überzeugt.

Hier, vor Tor 1, trägt die Parole des IG-Metall-Vorsitzenden: „Wir müssen den Wandel gestalten, wir müssen ihn lenken und steuern und mit unseren sozialen Interessen prägen“, kaum Früchte. Daß sie sich innerlich wehren, das Ende der Krupp-Hütte auch nur zu denken, beruht nicht nur auf dem durch vielerlei falsche Versprechungen begründeten Zweifel an „denen da oben“. Es hat auch etwas mit der spezifischen Firmenidentität der „Kruppianer“ zu tun. Die meisten der 2.232 Menschen, die heute noch auf der Hütte arbeiten, entstammen der zweiten oder dritten Kruppianer-Generation. 1897 siedelte Friedrich Krupp im niederrheinischen Rheinhausen sein Stammwerk an. In unmittelbarer Nähe der Stahlhütte ließ der Stahlbaron Werkswohnungen bauen und schuf damit zusätzliche Bindungen zum Werk. „Kruppianer“ zu sein, das war etwas Besonderes. Es bedeutete Arbeit und Wohnung bis zum Tod. Die „Treue“ zum Werk wurde zum Wesensmerkmal. Der Arbeitsplatz quasi von Generation zu Generation vererbt. Auch der Großvater von Klaus Kern war schon „auffe Hütte“. „Da spielten Zensuren keine Rolle. Wenn der Vater bei Krupp war, wurdest du genommen“, sagt Kern.

Um 6 Uhr morgens auf ein Bier im „Reichsadler“

Tatsächlich versprach Krupp jahrzehntelang mehr Sicherheit als der öffentliche Dienst. Bis zu 16.000 Menschen arbeiteten hier. Das etwa 250 Fußballfelder große Werksgelände markiert im Süden die Grenze der ehemals unabhängigen Stadt Rheinhausen, die erst im Rahmen der Gemeindereform 1975 Duisburg zugeschlagen wurde. In östlicher Richtung bildet der Flußverlauf des Rheins eine natürliche Barriere gegen den großen Nachbarn, zu dem die niederrheinischen Kleinstädter immer Distanz wahrten. Die Gemütslage beschreibt Erich Speh, Kranfahrer bei Krupp, so: „Nie wird ein Rheinhausener sagen, er sei Duisburger.“ Die einzige Verbindung zu Duisburgs Stadtkern stellt die immer wieder blockierte Hochfelder Brücke dar, die nach dem vergangenen Arbeitskampf in „Brücke der Solidarität“ umbenannt worden ist. Jahrzehntelang tickte die Stadt Rheinhausen mit ihren 80.000 Einwohnern im Takt der Hütte. Conti-Schicht: Sieben Tage Frühschicht, drei Freischichten, sieben Tage Spätschicht, eine Freischicht, sieben Tage Nachtschicht und wieder drei Freischichten. Dieser Rhythmus prägt selbst das Kneipenleben. Um 6 Uhr in der Früh macht der nur einen Katzensprung vom Werk gelegene „Reichsadler“ auf, jeden Tag, siebenmal die Woche. Dann schaut die Nachtschicht auf ein Bier vorbei, und wer will, bekommt in aller Herrgottsfrühe duftende Frikadellen oder die gelbe Erbsensuppe zu 2,50 Mark serviert. Und das soll jetzt alles zu Ende sein?

„Nein“, sagt die ehemalige Krupp-Betriebsrätin und Rentnerin Irmgard Chlebick während einer Bürgerversammlung in der Krupp-Menage, bei der um die Begutachtung der Vorstands-Zahlen durch unabhängige Gutachter gestritten wird. „Ich bin der Meinung, wir sollten die betriebswirtschaftlichen Zahlen nicht akzeptieren. Ich persönlich werde das jedenfalls nicht tun.“ So einfach kann und will es sich der amtierende Betriebsrat nicht machen. Das brüchige Vorstands-Zahlenwerk soll überprüft werden. Dazu hat der oberste Krupp-Hoesch- Chef Gerhard Cromme seine prinzipielle Bereitschaft erklärt. Der frühere Rheinhausener Betriebsratschef Manfred Bruckschen, der inzwischen für die SPD im Landtag sitzt, vermutet schon seit geraumer Zeit, daß beim Standortpoker zwischen Dortmund und Rheinhausen „eine politische Entscheidung getroffen worden ist“. Tatsache ist, daß die Ruhrkohle AG (RAG), die bisher das Dortmunder Hoesch-Stahlwerk mit Koks beliefert hat, Konzernchef Cromme eine völlig neuartige „Kooperation“ angeboten hat. Sie will mit Hoesch/Krupp eine „gemeinsame Kokereigesellschaft“ gründen, um so die Kostenvorteile der Krupp- eigenen Kokerei in Rheinhausen, die bei stolzen 26 Mark pro Tonne liegen, wettzumachen. In Rheinhausen vermutet man, daß an diesem Deal die Dortmunder SPD- Connection wesentlich beteiligt war. Dortmunds Oberbürgermeister Günter Samtlebe ist Aufsichtsratsvorsitzender des Dortmunder Energiekonzerns VEW, der wiederum Großaktionär bei der Ruhrkohle ist. Als Vorstandsvorsitzender der VEW agiert Fritz Ziegler, der der NRW-SPD als Landesschatzmeister dient. Auch in der Rau-Regierung verfügt die Dortmunder SPD mit Verkehrsminister Kniola und Arbeitsminister Müntefering über erheblichen Einfluß. Manfred Bruckschen sagt, er habe „auf Wunsch von Johannes Rau“ Anfang Februar darauf verzichtet, SPD-Minister zur Belegschaftsversammlung einzuladen, um dann wenige Tage später mit ansehen zu müssen, daß bei der entscheidenden Hoesch-Versammlung gleich „drei Minister anwesend waren“. Die Unternehmen weisen den Verdacht der politischen Einflußnahme ebenso zurück wie Spekulation in der Presse, derzufolge VEW angeblich für 600 Millionen Mark die Hoesch-Anteile an der Ruhrgas übernehmen wolle.

„Hoffnung braucht Fleisch an die Rippen“

Nun, an Dementis oder Versprechungen aus den Vorstandsetagen glauben die Rheinhausener ohnehin nicht mehr. „Guck dir doch das verdammte Papier dort an. Alles Betrug“, ruft einer und zeigt auf das verwaiste Pförtnerhäuschen. Da hängt für jeden sichtbar jene sogenannte Rau-Vereinbarung, die am 8. Mai 1988 den Arbeitskampf um die damals noch gut 6.000 Arbeitsplätze beendete. Darin verpflichten sich die Vorstandsvorsitzenden von Krupp und Mannesmann, „am Standort Duisburg-Rheinhausen so viele Arbeitsplätze zu schaffen, daß die Zahl der verbliebenen und der neuen Arbeitsplätze ab Ende 1991 mindestens 1.500 beträgt“. Gingen in Rheinhausen in Kürze die Öfen aus, „hätte man uns erneut betrogen“, sagt der zweite Betriebsratsvorsitzende Theo Steegmann. Bestenfalls 400 neue Arbeitsplätze habe es seit 1988 gegeben. Die versprochenen 1.500 wollen die Betriebsräte und die IG Metall jetzt einklagen. So könnte der Kampf um die Hütte, so hofft Steegmann, am Ende doch noch zum „positiven Symbol werden, und zwar in dem Sinne, daß wenigstens was Neues geschaffen wurde“.

Bei Präses Peter Beier in der Erlöserkirche klingt es ähnlich. Ohne Hoffnung auf Wandel „gibt es nur den Sturz ins Bodenlose, wo die Fänger schon warten“. Aber Hoffnung brauche „Fleisch an die Rippen und Boden unten den Füßen“.

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