: Nepper, Schlepper, Mieterfänger
■ Kriminelle Wohnungsbetrüger haben Hochkonjunktur / Kontakte zu Rechtsradikalen / Nach wie vor gibt es keine Sonderkommission zur Bekämpfung der Wohnungskriminalität / Immobilien makeln darf jeder
Berlin. Der Kollaps des Berliner Wohnungsmarkts ist mittlerweile sogar gerichtsbekannt. Wer Wohnungslose arglos betrügt, handele deshalb besonders verwerflich, urteilte jüngst der ehemalige Pressesprecher der Justizverwaltung und jetzige Richter beim Landgericht, Cornel Christoffer. Einem Wohnungsbetrüger, der in acht Fällen illegal Abstandszahlungen von bis zu 3.000 Mark für ein und dieselbe Wohnung kassiert hatte, verpaßte Christoffer deshalb über vier Jahre Haft.
Der Staatsanwalt, der in diesem Prozeß gar sechs Jahre Haft gefordert hatte, teilte in einer Prozeßpause mit, daß diese Art von Wohnungsbetrug seit langem keine Seltenheit mehr wäre. Eine Erfahrung, die auch die BerlinerMieterGemeinschaft bestätigen kann. Erst in der vergangenen Woche hatte sich ein Wohnungssuchender gemeldet, der für eine Wohnung in der Tegeler Bernauer Straße 4.000 Mark Abstand zahlen sollte. Die gleiche Forderung, so hat er mittlerweile erfahren, wurde an weitere sechs Interessenten erhoben. Hochkonjunktur für illegale Wohnungshaie?
Der „Ring Deutscher Makler“ (RDM) beeilt sich, immer wenn ein „schwarzes Schaf“ der Branche geoutet wurde, auf seine weiße Weste zu verweisen. Doch für die rund 15.000 Makler in Deutschland will auch die Standesorganisation nicht die Hand ins Feuer legen. Makeln kann in Deutschland nämlich jeder. Einzige Voraussetzung: Der Makler muß einen Gewerbeschein vorweisen können.
Abstandszahlungen für Objekte, die nie frei werden
Jüngster Fall: die Firma Immobilien Kontor. Für 6.500 Mark Abstand sollte eine Wohnung im Prenzlauer Berg einen neuen Mieter finden. So jedenfalls stand es in der Berliner Morgenpost. Ein Interessent, der sich daraufhin bei der Immobilienfirma meldete und sich mit einer großzügig auf 5.000 Mark gesenkten Zahlung einverstanden erklärt hatte, durfte sogleich mit der Maklerin zur Adresse des Vermieters fahren. Dort freilich mußte er in einem separaten Zimmer warten. Die Maklerin ging in ein Büro und kam mit dem unterschriebenen Mietvertrag heraus.
Probleme gab es erst mit der Zahlungsweise. Der Abstand sollte, zusätzlich zur Courtage für die Maklerin, in bar bezahlt werden. Der Wohnungssuchende stellte allerdings nur einen Scheck aus. Man ging auseinander. Am nächsten Tag erreichte den Wohnungssuchenden ein Anruf der Maklerin, daß er die Wohnung vergessen könne. Mittlerweile beschäftigt sich die Rechtsabteilung des zuständigen Bezirksamts mit dem Fall.
Courtagen von zwei Monatsmieten werden üblich
Was zunächst wenig spektakulär aussieht, hat mittlerweile Methode. Das wenigstens beobachtet Gerhard Heß von der Berliner MieterGemeinschaft. So dürften etwa Abstandszahlungen nur an den Vormieter bezahlt werden. Und auch die Courtage für die Makler darf laut Wohnungsvermittlungsgesetz lediglich zehn Prozent der Jahreskaltmiete betragen. Mittlerweile sind jedoch Forderungen von zwei Monatsmieten und mehr keine Seltenheit mehr. Es scheint, als hätten sich nicht nur Wohnungssuchende, sondern auch die Öffentlichkeit an derartige Praktiken gewöhnt.
Geschäfte mit Objekten öffentlicher Gesellschaften
Skandalös wird offenbar nur noch die Spitze des Eisbergs empfunden. So ermittelt etwa die Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie seit September letzten Jahres gegen eine Immobilienfirma namens WOCT. Die habe, so der Vorwurf, in Lichtenberg mindestens eine Wohnung aus dem Bestand der städtischen Wohnungsbaugesellschaft für 5.000 Mark Abstand zuzüglich Maklergebühr vermittelt. Ähnliches soll nach Angaben der Grünen-Abgeordneten Elisabeth Ziemer auch eine Firma Nova versucht habe. Beide Firmen haben ihren Sitz in der Grunewaldstraße 36/37. Im selben Gebäude hatte seinerzeit der ehemalige „Republikaner“-Abgeordnete und jetzige Symphatisant der rechtsextremen Deutschen Liga für Volk und Heimat, Carsten Pagel, versucht, einen Mieterverein zu gründen. Zwei seiner Gründungsmitglieder werden ebenfalls beschuldigt, am Deal mit städtischen Wohnungen beteiligt gewesen zu sein. Der „Erste Gesamtberliner Mieterverein“ (EGM) wurde allerdings nie ins Vereinsregister eingetragen. Heute ist der ehemalige „Republikaner“ Pagel unter anderem Anwalt der ehemals einzigen privaten Ostberliner Hausverwaltung „Alscher“.
„Was solche Vereine gemein haben“, sagt Gerhard Heß von der MieterGemeinschaft, „ist, daß Wohnungssuchende zunächst eine Bearbeitungsgebühr von ein- bis zweihundert Mark zahlen müssen, um dann in der Regel wertlose Wohnungshinweise zu erhalten.“ „In“ sind „Verlage“, die gegen eine entsprechende Bezugsgebühr top-aktuelle Daten über den Wohnungsmarkt liefern, ebenso wie Firmen, die dem Wohnungssuchenden statt Mietwohnungen Finanzierungsangebote für Eigentumswohnungen unterbreiten.
Ermittlungen gegen Betrüger laufen im Schneckentempo
Außer Spesen nichts gewesen. Eine Sonderkommission Wohnungskriminalität, wie sie von Mieterorganisationen seit langem gefordert wird, stößt bei der Polizeiführung nach wie vor auf Ablehnung. Die Begründung: Noch hätten sich die Fälle in Berlin nicht derart gehäuft, daß sie nicht im Rahmen der üblichen Sachbearbeitung verfolgt werden könnten. Doch solange die Ermittlungen gegen kriminelle Wohnungsbetrüger, wenn überhaupt, nur im Schneckentempo verlaufen, bleibt den Betroffenen oft nichts anderes übrig, als sich zu fügen – oder selbst zu wehren. So gelang es vor geraumer Zeit einer Gruppe Wohnungssuchender, eine Maklerin bei der illegalen Schmiergeldannahme auf frischer Tat zu ertappen. Das damalige Urteil gegen die Betrügerin: schlappe 6.400 Mark. „Für Spekulanten“, so Gerhard Heß, „ein Fall für die Portokasse“. Uwe Rada
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