■ Ökolumne: Das Recht der Natur Von Franz Alt
Die Ursachen der ökologischen Krise sind nicht einfach an einer falschen Wirtschaftspolitik oder an wirtschaftshörigen Politikern auszumachen. Sie reichen tief in die individuelle und kollektive Psyche. Die Umweltzerstörung ist das Ergebnis einer vorausgegangenen kollektiven Innenweltzerstörung. Unsere Seelen müssen schon sehr krank sein, wenn der Wald stirbt.
Wir wissen durchaus, was wir tun, wenn wir nach Tschernobyl noch AKW betreiben oder wenn wir Jahrzehnte nach Bekanntwerden des Treibhauseffektes täglich 100 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Luft blasen oder wenn sich jährlich Hunderttausende mit Zigaretten zu Tode rauchen. Wir sind fast alle Opfer und Täter. Wir hängen fast alle am Tropf umweltzerstörender Lebensstile wie ein Junkie an der Nadel. Die überlebensnotwendige Transformation heißt: Was bisher im Namen der Menschen geschah, soll künftig im Namen der Natur geschehen. Wir brauchen den ökologischen Rechtsstaat. Das bisherige Credo aller Humanisten „Der Mensch steht im Mittelpunkt der Politik“ erweist sich mehr und mehr als Fortschrittsfalle.
Es geht um weit mehr als um ein neues Grundgesetz, es geht um eine neue Ethik. Das neue ethische Grundverständnis, wie es zum Beispiel Klaus Bosselmann oder Rudolf Bahro vorschlagen, meint nicht mehr das bisherige „Umwelt“-Bewußtsein, sondern ein „Mit- Welt“-Bewußtsein, das den Menschen endlich als Teil im ökologischen Ganzen versteht. Juristisch formuliert: Menschliches Denken und Handeln sollte immer auch anwaltschaftliches, treuhänderisches Denken und Handeln für die Natur sein. Die menschliche Überlebenschance steigt, wenn wir lernen: Mensch, Tier, Pflanze sind eine Schicksalsgemeinschaft.
Die Realität heute ist aber: Die Mitwelt interessiert uns meist nur, wenn sie menschliche Interessen und menschlicheres Wohlbefinden berührt. Es ist noch ein weiter Weg, bis die Lebensrechte von Robben, vor Gericht vertreten durch menschliche Anwälte, wenigstens ernst genommen werden.
Daß „der Mensch im Mittelpunkt der Politik“ steht, ist ein Dogma wie das geozentrische Weltbild bis vor 450 Jahren. Damals begann die neue Naturwissenschaft, die alten religiös-mythischen Weltbilder abzulösen. Heute muß eine ganzheitlich- ökologische Wissenschaft mit dem bisherigen wissenschaftlich-mechanistischen Weltbild dasselbe machen. Das wird dauern. Der Papst brauchte 375 Jahre, bis er sich bei Galilei entschuldigte!
Das noch gültige humanistisch-mechanistische Weltbild bietet die Rechtsgrundlage für die Zerstörung der Natur: Wirtschaftswachstum vor Mitweltschutz! Der aktuelle Bonner Streit um Umweltschutz als Staatsziel ist auf seiten der Regierungsparteien reine Verfassungslyrik. Um ja nicht konkret werden zu müssen, haben Konservative allen Ernstes die Formel vorgeschlagen: „Die Schöpfung steht unter dem Schutz des Staates“. Eine himmlische Lachnummer!
Der notwendige Aufbau eines ökologischen Rechtsstaates setzt voraus, was es noch nie gab: Neue politische, ethische, ökologische und juristische Taten. Konkret: Haben Kröten unter Verkehrsminister Krause eine Überlebenschance? Wer vertritt die Heringe gegen Giftmüllferkel? Nur wer recht hat, wird geachtet. Papageien brauchen kein Recht auf freie Meinungsäußerung. Aber: Die Natur hat Eigenrechte!
Die heute schon erkennbaren Umrisse einer ganzheitlich-ökologischen Politik bedeuten noch lange keine Rettung aus der ökologischen Krise. Die Ökologisierung vom Grundgesetz und vielen Gesetzestexten wie Tierschutz-, Naturschutz- oder Wasserwirtschaftsgesetz kann dem ökologischen Bewußtseinswandel allerdings wichtige Impulse geben.
Der ökologische Rechtsstaat kommt von unten oder gar nicht. Wenn Al Gore tut, was er schreibt, wird er es bei seinen Wählern sehr schwer haben. Der ökologische Rechtsstaat kommt, wenn wir lernen: Die Naturgesetze stehen noch über dem Grundgesetz. Rechte für die Natur sind auch neue Menschenrechte.
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