: Anfang Mai soll vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht der Prozeß gegen den legendären Stasi-Spionagechef Markus Wolf beginnen. Auf 300 Seiten hat die Bundesanwaltschaft zusammengetragen, was der „Mann ohne Gesicht“ alles verbrochen haben soll. Darunter ist auch ein geschickt gefälschtes Verhörprotokoll der RAF mit ihrem Gefangenen Hanns Martin Schleyer. Von Wolfgang Gast
Das Schleyer-Protokoll
Stasi-Offiziere erinnern sich: Keiner habe das, was sie über Jahre taten, besser beschrieben als der französische Publizist Jean-Francois Revel. „Desinformation“, urteilte der Franzose im November 1983, „ist nicht nur Lüge, Propaganda, intellektuelles Belämmern, Fabrikation falscher Nachrichten, Zensur oder Vergessen wichtiger Neuigkeiten. Sie umfaßt sicher all diese Techniken. Aber sie fügt noch eine raffinierte Eigenschaft hinzu: Sie gauckelt dem Gegner vor, sie macht ihm weis, daß die ihm schädliche Information aus seinem eigenen Haus stammt.“ Eine Regel, die in der Abteilung X (aktive Maßnahmen) der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) unter der Befehlsgewalt des Spionagechefs Markus Wolf strikt befolgt wurde.
Die Post kam anonym. Kurz nach der Ermordung von Hanns- Martin Schleyer gingen beim Spiegel, dem Kölner Korrespondeten des niederländischen De Telegraaf und beim Schleyer-Sohn Hanns- Eberhard drei gleichlautende Schreiben ein. Der Inhalt bestand jeweils aus fünf mit Schreibmaschine beschriebene Briefbögen, die auf DIN-A5-Format verkleinert waren, damit die Schrifttype nicht festgestellt werden konnte. Eines der Blätter war eine Art Anschreiben. In der für die RAF typischen Kleinschreibung hieß es:
es ist für uns keine frage der moral, wenn wir bestimmten wünschen nachkommen, die der gefangene h. M. Schleyer für den fall seiner exekution geäußert hatte. Vielmehr gehen wir davon aus, daß der exekutierte unter seinesgleichen feinde besaß, die uns jetzt interessieren. Mit größter aufmerksamkeit werden wir deshalb verfolgen, was SIE aus den beigefügten aussagen h. M. Schleyers machen, und dann entscheiden, ob wir IHNEN weitere tonbandkopien und -abschriften zustellen.“
Unterzeichnet wurde mit „Kommando Siegfried Hausner, RAF“. Die vier übrigen Bögen enthielten offenbar stark gekürzte Abschriften aus den „Vernehmungsprotokollen“, die – so der Anschein – während der Geiselnahmen Schleyers angefertigt wurden. Kostprobe:
aufzeichnung o.k. Schleyers, 10.10.77
schleyer: ... will ich direkt antworten: man braucht märtyrer, und jetzt bin ich an der reihe...
frage: kohl und strauß tanzen da wirklich nach der pfeife von schmidt?
schleyer: ... falls SIE mich ein paar tage überleben sollten, wird IHNEN spätestens dann diese dramaturgie offensichtlich werden...
hinweis: da haben Sie ja tolle politische freunde, aber sie würdens ja mit ihnen auch nicht anders machen...“
Der Text, in dem unter anderem auch Schleyers SS-Mitgliedsnummer 227014 auftauchte, kreiste um die Verstrickung des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß in die damalige Starfighter-Affäre. Er erweckte zudem den Eindruck, wie abfällig der Entführte über seine Parteifreunde Kohl und Biedenkopf sowie den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt geredet hatte.
Zwar druckten weder Spiegel noch De Telegraaf die Dokumente ab, doch vom Spiegel beauftragte Gutacher kamen zu dem Schluß: „Diktion und Terminologie entsprechen RAF-Stil“, die „Authentizität der Mitteilung ist sehr wahrscheinlich“. CDU-Chef Kohl, der damals noch die Oppositionsbank drückte, kam nach Vorlage der Blätter laut einem Vermerk der Bundesanwaltschaft vom Dezember 1978 zu einem anderen Schluß: „Desorientierungsmachwerk“. In den Aufzeichnungen stehe nichts, „was nicht schon vor ihrem Auftauchen öffentlich bekannt gewesen sei“; Insider-Wissen sei darin nicht enthalten.
Helmut Kohl bewies damit Spürsinn: Die Autoren, soviel ist heute nicht zuletzt durch Aussagen von Mitarbeitern der früheren Abteilung X bekannt, waren nicht die Mitglieder der RAF – es waren die Desinformations-Spezialisten aus den Reihen der Wolfschen HVA. Jahre später konnten Wolfs Mitarbeiter dann für sich selbst überraschend einen Erfolg verbuchen. Das Hamburger Magazin Konkret ging der Stasi-Fälschung auf den Leim, als es unter dem Titel „Was hat Schleyer der RAF erzählt?“ im März 1984 Auszüge aus den „Protokollen“ veröffentlichte.
Als „aktive Maßnahme Dr. Schleyer“ will die Bundesanwaltschaft nun den Fall dem einstigen obersten Chef der DDR-Spione anlasten. Der Plan, so die Ankläger, wurde in der Abteilung X der HVA entwickelt, „um westdeutsche Politiker dem rufschädigenden Verdacht unlauterer Machenschaften auszusetzen“. Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, der für die Anklageschrift verantwortlich zeichnet, glaubt nachweisen zu können, daß hierzu „auf der Grundlage von Abhörerkenntnissen der Hauptabteilung III des MfS, welche den Fernsprechverkehr des damaligen Krisenstabes der Bundesregierung überwacht hatte, Niederschriften über angebliche Verhöre Dr. Schleyers durch Angehörige der RAF gefertigt und im Herbst 1977 sowie erneut im Oktober 1978 im Bundesgebiet verbreitet“ wurden. Die Protokolle, so die Anklageschrift, „erwecken den Anschein, Dr. Schleyer habe unter dem Druck der Entführungssituation Kenntnisse über interne Anschuldigungen des BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz, d. Red.) und des BKA gegen Bundeskanzler Schmidt beziehungsweise Innenminister Maihofer und über Verwicklungen der Ehefrau des bayerischen Ministerpräsidenten sowie von CSU-Generalsekretär Tandler in den Todesfall des am 20. Juli 1977 verstorbenen Fabrikanten Rieß offenbart“. Die Protokolle spiegelten ferner den Eindruck vor, Schleyer „habe im Verhör Kenntnisse über unseriöse Parteispenden der Wirtschaftsverbände, über vertrauliche Koalitionsgespräche der damals zusammen mit der SPD an der Regierung beteiligten FDP mit Oppositionsführer Dr. Kohl sowie über „Spitzel“ des BdI und des Verfassungsschutzes in Führungsgremien des DGB preisgegeben“. Die von der Stasi gewählten Formulierungen, so das Fazit der Karlsruher Anklagebehörde, „sind insgesamt geeignet, bei einem unbefangenen Leser den Eindruck aufkommen zu lassen, eine gemeinsame Interessenlage von Bundesregierung und Opposition [...] habe seinerzeit einer Befreiung des Entführten entgegengestanden“.
Restlos geklärt ist der Ablauf der Schleyer-Entführung und die anschließende Ermordung des Arbeitgeber-Präsidenten im Oktober 1977 bis heute nicht. Und wenn die Mitarbeiter der HVA-Abteilung X in Düsseldorf vor Gericht als Zeugen befragt werden, könnte sich noch manche Überraschung ergeben. Sie behaupten beispielsweise, daß die elektronische Funkaufklärung der Hauptabteilung III, für die der Ex-Generalmajor Horst Männchen verantwortlich war, Erstaunliches zutage förderte. So hätte die Stasi beispielsweise die Fahndungsaktivitäten der Bundesbehörden exakt verfolgen können, weil sich die Beteiligten – um Zeit zu sparen – unverschlüsselt über Funk und Telefon untereinander und mit dem Bonner Krisenstab verständigt hätten. Dadurch habe man aus verschiedenen Funksprüchen mitbekommen, „daß die Sicherheitskräfte zumindest zeitweise wußten, wo Schleyer festgehalten wurde“. Wohl aus der Angst, daß ein Befreiungsversuch fehlschlagen könnte, sei von westdeutscher Seite aus nichts unternommen worden.
Vertrackt ist aber auch, daß es sich bei den Verhörprotokollen einerseits um Fälschungen der Staatssicherheit handelt, die Tatsache aber, daß Schleyer von seinen Entführern verhört wurde, dennoch stimmt. Die Gespräche mit dem gefangengehaltenen Schleyer wurden unter anderem im Auftrag militanter palästinensischer Organisationen auf Tonbandkassetten mitgeschnitten.
Ein Satz der Aufzeichnungen ging an das Archiv der RAF in Bagdad – einer an den palästinensischen Geheimdienst unter Wadi Haddad. Der 1978 in einem Ostberliner Krankenhaus an Blutkrebs verstorbene Haddad soll wiederum Kopien der Kassetten umgehend an „befreundete Geheimdienste“, darunter an den sowjetischen KGB und an die Staatssicherheit der DDR, weitergereicht haben. Mithin stellt sich die Frage, ob die gefälschten Protokolle tatsächlich nur, wie die Bundesanwälte glauben, auf Grundlage der Abhörerkentnisse der Stasi-Elektroniker erfunden wurden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen