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"Unternehmen Hamburg" - ein Sanierungsfall

■ Streit im Vorstand: Schwere Managementfehler haben das Unternehmen Hamburg zum Sanierungsfall verkommen lassen

: Schwere Managementfehler haben das Unternehmen Hamburg zum Sanierungsfall verkommen lassen

Dunkle Wolken über dem „Unternehmen Hamburg“. Nach einer kurzen Boomphase zwischen 1988 und 1992 drohen dem Stadtstaat ernste Gefahren. Ähnlich wie beim Volkswagenwerk wurde in den guten Jahren nicht ausreichend Speck angesetzt. In den kommenden Jahren drohen gigantische Finanzlöcher. Was kundige Unternehmensanalytiker seit langem beklagen, hat nun auch der Vorstand (vulgo: Senat) erkannt: Die Kosten laufen aus dem Ruder. Die Produktionsorganisation ist desolat, die Produktpalette überaltert, mit dem Marketing hapert es. Im obersten Management sind offene Konflikte ausgebrochen. Verzweifelt wird nach Sanierungskonzepten und neuen Produkten gefahndet.

Mit 150000 Beschäftigten, einem Jahresumsatz von knapp 30 Milliarden Mark, fast 30 Milliarden Mark Bankverbindlichkeiten und einem kaum schätzbaren Immobilienbesitz zählt der Stadtstaat Hamburg zu den bedeutendsten Wirtschaftsorganisationen der Welt. 120000 Menschen arbeiten in der Hamburger Verwaltung unter dem zentralen Regime von Henning Voscherau (Vorstandsvorsitzender), Peter Zumkley (Personalchef), Thomas Mirow (Stabschef) und Wolfgang Curilla (Finanzchef). Dieser zentrale Vorstand wird durch ein knappes Dutzend AbteilungsdirektorInnen komplettiert. Daneben steuert Günter Elste als Geschäftsführer der Beteiligungsholding (Hamburger Gesellschaft für Beteiligungsverwaltung — HGV) 30000 Beschäfigte in weit über 100 Stadtstaats-Unternehmen.

Elste, in Personalunion auch Sprecher der Aufsichtsratsmehrheit (vulgo: SPD-Bürgerschaftsfraktion), hat in den letzten Wochen mit einem handgestrickten Sanierungskonzept für Rauschen im Blätterwald und heftige Wellen im städtischen Verlautbarungsteich gesorgt. Mit Sparen, dem Verkauf von Betriebsteilen und Lohnsenkungen sowie Investitionen in bestimmte Produkte (Autobahnen, Gewerbeflächen) soll die Krise gemeistert werden. Der Betriebsrat (öTV), zuvor nicht unterrichtet, zeigt sich entsetzt und kündigt heftigen Widerstand an. Auch Elstes Vorstandskollegen reagierten mit Verwunderung und wittern eine Attacke auf den geschwächten Vorstandsvorsitzenden Voscherau.

Das Bild von der Stadtrepublik als „Unternehmen Hamburg“ hat als erster Klaus von Dohnanyi geprägt. Als Bürgermeister bemühte er sich von 1982 bis 1988, das in seinen Augen durch Lage (am Rand der Wirtschaftswelt), Finanzen (das böse Bonn!) und Traditionsmief (Hafenorientierung) schwer gefährdete Hamburg durch aggressives Standortmarketing zu retten. Mit einer bunten Mixtur aus Sparen, Subventionieren (High-Tech, Wirtschaftsförderung) und Streicheln (potentiellen Investoren wurde jeder Wunsch von den Augen abgelesen), rannte KvD sechs lange Kohljahre vergeblich dem bundesweiten Aufschwung hinterher. Hamburg glänzte allein mit Sozialhilfe-, ABM- und Arbeitslosenzahlen.

1988, Dohnanyi war gerade aus dem Amt, schien sich seine Politik endlich auszuzahlen. Ausländisches Kapital entdeckte unter dem Vorzeichen „europäischer Binnenmarkt“ die vergleichsweise preiswerte und verschlafene norddeutsche Metropole. Die Einheit 1989/90 verwandelte den Aufschwung in einen formidablen Boom und alle strahlten. Kluge Köpfe mahnten schon damals, jetzt gelte es, den Boom zu gestalten und zu nutzen. Die grotesken Fehler der späten 60er und frühen 70er Jahre, als der Vorstand milliardenschwere Fehlinvestitionen in Atomkraftwerke und Grundstoffindustrien tätigte, dürften sich nicht

1wiederholen. Das Unternehmen, so mahnten die Warner, müßte gründlich modernisiert, saniert und für die komplexen Zukunftsaufgaben fit gemacht werden.

Das Management dagegen wurstelte fröhlich in altem Stil weiter. Die unerwartet sprudelnden Einnahmen wurden für eine politische Verschnaufpause und Expansionsprojekte der uralten Art (Hafen, Straßen, Ansiedlungssubventionen) verplant und verpulvert. Die versprochene Sanierung trat auf der Stelle. Lediglich der Versuch, mit der Neuschneidung Betriebssparten Frauen, Stadtentwicklung und Verkehr einen klitzekleinen Modernisierungsschritt zu tun, sorgte für langanhaltende interne Aufregung.

Noch Mitte 1992, als Konjunkturexperten vor einer Rezession warnten, die dem Unternehmen Hamburg zumindest eine gewaltige

1Einnahmendelle bescheren würde, stellte sich der Vorstand taub. Erst anfang 1993 registrierte Finanzchef Curilla die neue Ebbe in den Kassen. Seither herrscht in der Vorstandsetage kollektive Ratlosigkeit. Marketingchef Hans-Jürgen Krupp übt sich in Gesundbeterei, der Vorstandsvorsitzende klagt über mangelnde Gestaltungsmöglichkeiten und der Finanzchef grummelt.

Jetzt nutzte der Aufsichtsratsvorsitzende Günter Elste die Gunst der Stunde und präsentierte ein Totalkonzept, das in der Fachwelt freilich nur müdes Lächeln auslöste. Allein die Minderheitsaktionäre jubelten, witterten sie doch die Chance, beim Ausverkauf des

Unternehmens Hamburg zu profitieren.

Unternehmensanalytiker dagegen betrachten den Hüftschuß Elstes mit allergrößter Skepsis. Wilder verbaler Aktionismus, der nicht

1einmal innerhalb von Vorstand und Aufsichtsrat mehrheitsfähig sei, so ihr Urteil, solle von den Kernproblemen des Unternehmens ablenken. Statt dessen müsse endlich die überfällige innere Sanierung (vulgo: Parlaments-, Verwaltungs- und Parteireform) angegangen werden. Dringend erneuerungsbedürftig sei auch die Produktpalette: Hamburg brauche ganzheitliche Entwicklungskonzepte, welche das Unternehmen erst in die Lage versetzen könnten, seine Leistungsfähigkeit in den Bereichen Wirtschaft, Wohnen, Umwelt, Gesundheit, Verkehr und Soziales zu steigern. Verweigere sich der Vorstand weiter diesen Herausforderungen, drohe bei der nächsten Aktionärshauptversammlung im Jahr 1995 ein kollektives Massaker, das auch Vorstand und Aufsichtsrat nicht unbeschadet überstehen würden. Florian Marten

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