Nord-Süd-Institut von West nach Ost

■ Für Dritte-Welt-Studien gibt es an den Unis ein breites Angebot / TU-Fachbereich "Internationale Agrarentwicklung" wechselt zur Humboldt-Universität und belebt entwicklungspolitischen Schwerpunkt neu

Berlin. Die Freie Universität geriet wegen ihrer Entwicklungsländerforschung schon einmal in eine Zerreißprobe. Der Versuch, das Lateinamerika-Institut (LAI) zu zerschneiden, war einer der Anlässe der StudentInnen-Proteste des Wintersemesters 1988/89. Das berühmte LAI war damals das erste besetzte Institut: Die StudentInnen wollten sich nicht die sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze von der Beschäftigung mit Lateinamerika abtrennen lassen, wie es in den konservativen Strukturplänen von 1988 vorgesehen war. Die Lateinamerikanistik sollte damals zu den Neuen Fremdsprachlichen Philologien verlegt werden.

Derzeit ist der alte Zustand wiederhergestellt. „Wir machen hier Regionalwissenschaft“, sagt Urs Müller-Plantenberg, Privatdozent und Soziologe am LAI. Die Studierenden aus der Geschichte, der Wirtschafts- oder Politikwissenschaft können sich auf die Probleme der Unterentwicklung in den lateinamerikanischen Ländern spezialisieren. Erfolgreiches Beispiel für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit am LAI ist eine Studie über die Folgen der Abholzung des tropischen Regenwaldes in Amazonien. Einer der von Manfred Nitsch, Thomas Hurtienne und Elmar Altvater vom Otto- Suhr-Institut betreuten Doktoranden (Francisco Costa über die Bauern im Amazonasgebiet) erhielt 1991 den Entwicklungsländerpreis der Universität Gießen. Ein anderes LAI-Projekt fördert die Volkswagenstiftung mit einer halben Million Mark. „Chancen und Risiken einer aktiven Weltmarktintegration für Lateinamerika“ heißt das Thema, das für Studierende ebenfalls wieder über Forschungsseminare zugänglich war.

Entwicklungspolitische Studienmöglichkeiten gibt es in Berlin reichlich. An der Freien Universität stellt die – aus Industrieländerperspektive betrachtete – Unterentwicklung einen Schwerpunkt dar. Die Wirtschaftswissenschaftler und die Politologen bieten entsprechende Veranstaltungen im Dutzend an. Auch bei den Historikern findet sich etwas zum Thema. Spezielle Ausbildung gibt es am Institut für Tropenveterinärmedizin, einer der Institutionen, die in den sechziger Jahren in Berlin gegründet wurden, um Deutschen zum Zugang zum Berufsfeld Entwicklungspolitik zu verhelfen. Die Humboldt-Universität kann dagegen nicht mithalten, was Veranstaltungen zur Frage der globalen Entwicklung betrifft.

Kommendes Semester wird das besser. Ab 1. April gehört die Internationale Agrarentwicklung der Technischen Universität zum neugegründeten Fachbereich Agrar- und Gartenbauwissenschaft der Humboldt-Uni. Bei der Gründung des neuen Fachbereichs im Oktober letzten Jahres bekräftigten die Professoren in den alten knarrenden Hörsälen der Invalidenstraße ihre Absicht, den entwicklungspolitischen Schwerpunkt auch nach der Fusion fortzuführen.

Ein scharfe Auswahl herrscht bei der Zulassung zu den beiden postgradualen Weiterbildungen in den Entwicklungshilfebereich Berlins. Sowohl am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik als auch am Seminar für Landwirtschaftliche Entwickung kommen jährlich nur 20 beziehungsweise 22 UniversitätsabsolventInnen zum Zug. Die Zahl der BewerberInnen ist zehnmal so hoch. Beide Kurse sind berufsvorbereitend.

„Wir bilden für eine Tätigkeit im weiteren Bereich der entwicklungspolitischen Institutionen aus“, meint Peter Waller vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Waller ist Professor und stellvertretender Geschäftsführer des gerade in die Hallerstraße umgezogenen Instituts. Das DIE wird zu drei Vierteln vom Bund getragen, den Rest des Budgets deckt Berlin als Gesellschafterin. Dennoch sei das DIE ein „unabhängiges Institut“, meint Waller. Das DIE berät die Bundesregierung in entwicklungspolitischen Fragen und bildet gleichzeitig alljährlich 22 HochschulabsolventInnen aus. Drei von neun Monaten halten sich die KursteilnehmerInnen im Ausland auf. Das Gros der bislang 528 AbsolventInnen (seit 1964) fand in den Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit eine Anstellung.

Im Bereich konkreter entwicklungspolitischer Projekte arbeiten die AbgängerInnen des Seminars für ländliche Entwicklung (SLE), das 1962 gegründet wurde. Anders als das DIE ist das SLE an die Universität angebunden und dadurch unabhängiger von Gesellschafterinteressen. Getragen wird es ebenfalls vom Bund und dem Land Berlin. Theo Waigel zahlt die Stipendien und die Kosten für die TeilnehmerInnen; aus dem Budget des Berliner Finanzsenators kommt das Geld für die insgesamt acht Mitarbeiter.

„Wir heißen zwar Seminar für landwirtschaftliche Entwicklung, aber wir machen nichts über Kokosnüsse oder Bananen“, erläutert Peter Neunhäuser die Arbeit der SLE. Es gehe darum, den KursteilnehmerInnen Techniken wie Kommunkationsfähigkeit oder Planungswissen zu vermitteln. Sie sollten entwicklungspolitische Probleme analysieren und ihre Lösung durch die Menschen in den Drittweltländern moderieren können.

Im zu Malaysia gehörenden nördlichen Borneo etwa greifen die Bauern immer öfter zur Brandrodung, um Anbauflächen zu gewinnen. Ein siebenköpfiges Team des SLE entwickelte Methoden, um die Wasserhaltefähigkeit des Bodens wieder zu verbessern. Dazu gehörte die „indirekte Terrassierung“. Dies mußte aber mit den heimischen Bauern entwickelt und ihnen dann erläutert werden. Die SLElerInnen kooperierten mit der Dorfversammlung. Sie gründeten dabei eine neue dörfliche Institution, ein Komitee der Farmer, in dem VertreterInnen der Dorffunktionäre, der Frauen und der einfachen Bauern saßen. Ein anderes Team der SLE werde bald wieder nach Borneo fliegen, so Peter Neunhäuser, um zu begutachten, welche Ergebnisse die Beratung der europäischen Entwicklungshelfer in dem Drittweltland brachten. cif