■ Press-Schlag: Von der Tautologie bis zur Dialektik
Daß Boris Becker sich allzugerne als Hobbyphilosoph betätigt, wissen wir schon. Aber daß sich auch andere, die sonst ausschließlich dem gelben Filzbällchen hinterherhetzen, plötzlich solch tiefgrimmenden Gedanken hingeben, war unbekannt. Vielleicht lag es ja am Fehlen des abwesenden Tennis- Sokrates („Ich weiß, daß ich nichts weiß“), daß sich das verbliebene Häuflein zu heideggerschen Höhen aufschwang.
Besonders hoch im Kurs stand in diesen Tagen die Tautologie. Wie wir alle wissen, die reinste und somit schönste Form des logischen Schlusses. (s. taz vom 25.3.). Doch dank des russischen Verbandes hebt sich das internationale Tennis auf ein Niveau, auf das selbst der selige Hegel ein waches Auge geworfen hätte. Zuletzt entdeckte der stellvertretende Präsident des russischen Tennisverbandes Schuschow gar die Dialektik: „Vielleicht ist er krank, vielleicht auch nicht.“ Wie elegant, wie wunderhübsch, wie wahr und wie widersinnig ist doch diese Aussage. Und obwohl diese logische Figur in ihrer puren Schönheit natürlich Allgemeingültigkeit besitzt, meinte Herr Schuschow jemand ganz Speziellen. Nämlich Andrej Tschesnokow, an dessen Körper die moderne Medizin demonstrierte, daß sie durchaus weiß, Verwirrung zu stiften. Mittwoch an geschwollenen Lymphdrüsen erkrankt, Donnerstag ohne Behandlung wieder fidel: „Ich habe zwar Schmerzen im Bauchbereich, aber ich hätte spielen können.“ Und der Konjunktiv deutet bereits die zweite Wendung im russischen Logik-Verwirrspiel an, die einen halbwegs der Rationalität vertrauenden Menschen zum Wahnsinn treiben könnte: Trotz plötzlicher Wiedergenesung spielte Tschesnokow nicht. Und steuerte auch gleich noch ein Rätsel bei: „Ich bin weder überrascht noch enttäuscht.“ Ist das jetzt wieder eine Tautologie (Wer vorher weiß, was Sache ist, kann auch nicht enttäuscht sein?) oder schlicht Blödsinn oder einfach gelogen? Dann nämlich könnte es auch nicht wahr sein, selbst wenn es logisch wäre. Zu viele Antworten, zu wenige Fragen. Ganz klar, daß die Deutschen im folgenden mit den so arg grübelnden Russen leichtes Spiel hatten. Nicht nur, daß mit Wolkow und Tschesnokow ihre beiden Besten nicht spielten, der Rest war anscheinend auch noch mit der Suche nach der letzten, der alles lösenden Tautologie beschäftigt. Vor allem Andrej Tscherkasow, der gegen Carl-Uwe Steeb 6:4, 6:1 und 3:1 führte und unkonzentriert doch noch verlor. So führten die deutschen „selbständigen Unternehmer“ (DTB-Präsident Claus Stauder) schon nach dem zweiten Tag uneinholbar mit 3:0 und qualifizierten sich damit für das Viertelfinale im Davis-Cup, wo sie zu Hause auf das Tschechische Team treffen. Die Russen und ihre messerscharfe Logik werden uns fehlen. to
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