■ Rußland und der fortdauernde Krieg in Bosnien
: Die große Mitverantwortung

Seit dem Fall der Berliner Mauer gilt die während über 40 Jahren Ost-West-Konfrontation herrschende Blockade der UNO und ihres höchsten Gremiums, des Sicherheitsrats, als überwunden. Doch der Schein trügt. In einer Reihe von Fragen existiert die Blockade weiterhin. Dank Moskaus stark verbesserter Public-Relations-Fähigkeiten ist dies nur weniger offensichtlich. Schwerwiegendstes Beispiel für eine solche Blockade ist der nunmehr seit fast einem Jahr andauernde Krieg in Bosnien-Herzegowina. Tatsächlich war es an erster Stelle die Führung in Moskau, die das notwendige Maß effektiven Drucks der internationalen Staatengemeinschaft auf die bosnischen Serben und vor allem auf Belgrad bislang verhindert hat. Präsident Jelzin und Außenminister Kosyrew versäumten keine Gelegenheit, Washington zu warnen, daß eine härtere Gangart gegen die Serben ihren eigenen innenpolitischen Gegnern in die Hände spielen würde, und sie verstanden es immer wieder geschickt, die Öffentlichkeit über Moskaus Bremserrolle hinwegzutäuschen: etwa mit ihren (bis heute in keinem Punkt realisierten) Bereitschaftserklärungen zur Teilnahme am Abwurf humanitärer Güter über Bosnien oder zur Entsendung von russischen Soldaten in eine internationale Truppe zur Überwachung eines Friedensabkommens. Vor allem aber mit der lautstark bekundeten Unterstützung für den Vance/Owen-Plan zu einem Zeitpunkt, als die Clinton-Administration noch dessen Ablehnung bzw. seine Verbesserung zugunsten der Muslime diskutierte. Durch deutliche Warnungen an Washington hinter den Kulissen sorgte die russische Diplomatie schließlich dafür, daß Washington den Gedanken an die Belieferung der Muslime mit Waffen endgültig aufgab.

Aus verzweifelter Einsicht in die Interessenlage der beiden Großmächte hat Bosniens Präsident Izetbegović den Vance/Owen-Plan inzwischen unterschrieben. Das verengt den politischen Spielraum für die russische Führung, denn nunmehr steht Serbenführer Karadžić als einziger Verweigerer da. Doch am Wochenende verbreiteten Gerüchten, wonach die USA und Rußland verstärkte Druckmaßnahmen gegen Karadžić verabredet hätten, ist mit großer Skepsis zu begegnen. Bereits am letzten Donnerstag erwirkte Moskau mit Verweis auf die innenpolitische Situation in Rußland eine Vertagung des seit Monaten immer wieder verschobenen Sicherheitsratsbeschlusses zur militärischen Durchsetzung der bosnischen Flugverbotszone um eine weitere Woche. Doch selbst wenn der Sicherheitsrat seinen Beschluß am kommenden Donnerstag mit der Stimme Rußlands fassen sollte — er wäre symbolischer Natur und ohne nennenswerte Auswirkungen auf die Kriegsführungsfähigkeit der bosnischen Serben. Andreas Zumach