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Volksdeputierte wollen Jelzin und Chasbulatow absetzen

■ Zehntausende demonstrieren für Jelzin

Moskau (taz) – Rußlands Volksdeputierte machten es doch noch wahr. In geheimer Wahl stimmten sie gestern über eine Amtsenthebung Präsident Jelzins ab. Allerdings schien der Erfolg des Unternehmens ziemlich unwahrscheinlich. Zwei Drittel der Abgeordneten müßten für die Amtsenthebung stimmen. Noch am Vortag hatten die Volksvertreter diesen radikalen Schritt verworfen. Statt dessen arbeiteten sie an einer Resolution, die die Handlungsweise des Präsidenten und seiner Regierung aufs schärfste verurteilte. Darauf hatte Jelzin am Samstag abend unzweideutig geantwortet: Eine derartige Entschließung werde er nicht akzeptieren. Am Sonntag morgen präsentierten Parlamentsvorsitzender Chasbulatow, Jelzins erbittertster Gegner, und der Präsident dem höchsten Gesetzgeber statt dessen dann einen erneuten Kompromiß: Neuwahlen für das Präsidentenamt und das Parlament am 21. November. Dafür werde Jelzin das Referendum zur Vertrauensfrage fallenlassen. In der Konsequenz hieß das ein vorzeitiges Ende des Kongresses. Und so zwang der Selbsterhaltungstrieb der Abgeordneten sie, zum letzten Mittel zu greifen. Sie stimmten gegen den Kompromiß und leiteten den Wahlgang ein.

Dabei geriet auch Ruslan Chasbulatow in die Schußlinie. Über die Hälfte der Abgeordneten – der Manipulationen ihres Vorsitzenden müde – verlangte wutentbrannt, nun auch seine Entlassung zu betreiben. Im Vergleich zur Amtsenthebung des Präsidenten fordert das Reglement hierfür nur eine einfache Mehrheit. Aber auch demokratische Abgeordnete zeigten sich nicht glücklich über die Entscheidung Jelzins, das Referendum preiszugeben. Der Machtkampf könnte weitergehen, ohne dem Präsidenten moralische Stärkung durch ein Plebiszit zu verschaffen.

Der Kongreß hat der Bevölkerung erneut gezeigt, daß er nicht kompromißbereit ist und nicht von seinen Pfründen lassen will. Die Folge: Vor mehr als 50.000 Pro-Jelzin-Demostranten auf dem Roten Platz versicherte der Präsident, er werde das Referendum nun auf jeden Fall abhalten. Für Jelzin ein willkommener Moment, wieder in die Rolle des Volkstribunen zu schlüpfen. Sämtliche Kabinettsmitglieder – einschließlich Sicherheitschef Barannikow – und bekannte demokratische Politiker waren bei seinem Auftritt vor der Menge zugegen. Offen bleibt, ob der hochemotionalisierte Kongreß am Ende tatsächlich seinen Vorsitzenden opfert. Denn ohne Chasbulatow könnten die Delegierten ihre Ambitionen auf Doppelherrschaft erst einmal in den Wind schreiben. khd Seite 8

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