: Ein Mann für drei Epochen
■ Der Hamburger Architekt Bernhard Hermkes wird heute neunzig Jahre alt / Der leitende Architekt bei der Erbauung der Grindelhochhäuser hat das Nachkriegs-Hamburg baulich prägend mitgestaltet
wird heute neunzig Jahre alt/Der leitende Architekt bei der Erbauung der Grindelhochhäuser hat das Nachkriegs-Hamburg baulich prägend mitgestaltet
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2å Am S-Bahnhof Klein Flottbek, unweit vom Botanischen Garten, liegt eine Häuserzeile mit eingeschossigen Zweifamilienhäusern, die dem ungeübten Auge unscheinbar erscheinen mögen, aber im Detail, soweit es unverändert blieb, die Handschrift eines der bedeutensten Hamburger Architekten dieses Jahrhunderts verraten. Amerikanischen Siedlungen ähnlich und am auffälligsten für den Gartenzaun-gewöhnten Deutschen sind die freien Durchgänge zwischen den Häusern. Aber auch die tief hinunter reichenden Fenster, der gelbe Stein und die kaum überkragenden Dächer zeigen den Geist der 50er-Jahre-Moderne, die ihr Architekt Bernhard Hermkes entscheidend mitgeprägt hat.
In einem dieser Häuser, erweitert um einen Atelieranbau, wohnt Hermkes selbst. Er, der dem Gesicht der Hansestadt nach dem Krieg an einigen exponierten Stellen seinen eigenwilligen Stempel aufgedrückt hat, arbeitet und lebt hier in „seiner“ Siedlung, die Ulrich Höhns im ersten Architekturjahrbuch einmal als „eine der
1schönsten Siedlungen der frühen Nachkriegszeit“ bezeichnet hat. Früher hatte er sein Architekturbüro auf dem Dach eines jener Häuser, deren Erbauung er als leitender Architekt maßgeblich mitbestimmte und die als einziges Ensemble der Moderne mit Weltruf in Hamburg gelten können: die Grindelhochhäuser. Ihre 1946 begonnene Realisierung - mitbeteilig waren unter anderem die Architekten Ferdinand Streb, Fritz Trautwein und Rudolf Lodders - machte Hermkes schlagartig berühmt.
Dabei hatte der Sohn eines Vollblut-Beamten lange kämpfen müssen, bis der Vater dem begeisterten Zeichner erlaubte, Architektur zu studieren. Danach aber ging alles rasant schnell. Berühmte, aber sehr unterschiedliche Lehrer sorgten dafür, daß Hermkes bis ins hohe Alter extrem flexibel und vielgesichtig auf die Vorstellungen seiner Bauherren reagieren konnte: Theodor Fischer in München, Hans Poelzig in Berlin und schließlich Paul Bonatz in Stuttgart. Sie alle aber forderten vordringlich seine Individualität heraus und lehrten
1ihn die zeitlose Eleganz eines wirklich eigenen Stils.
Nach einem kurzen Intermezzo im Frankfurter Büro von Ernst May machte der damals 23jährige sich 1926 selbstständig und entwarf drei Häuser für berufstätige Frauen in Frankfurt, die er heute als seine ihm liebsten Bauwerke aus seinem Oevre bezeichnet. Nach einigen weiteren Bauaufträgen in Berlin und Frankfurt begann mit der Machtübernahme der Nazis für den Verfechter der Moderne eine harte Zeit. Als „Baubolschewist“ beschimpft blieben die Aufträge aus. Einige Jahre hielt er sich damit über Wasser, daß er befreundeten Juden ihre Häuser ausbesserte, bis diese das Land verließen oder in die Konzentrationslager deportiert wurden. Trotz des damals selbst miterlebten Leides hielt Hermkes es für „unvorstellbar“, selbst zu emigrieren.
Durch einen „glücklichen Zufall“ fand er Unterschlupf im Büro des Herbert Rimpl, dem führenden Nazi-Architekten für Industriebau. Als Hermkes mit seiner Frau aber an einem Wahltag lieber spazieren ging, wurde er am nächsten Tag gekündigt. Zufällig war Wilhelm Wichtendahl, ein Weggefährte Rimpls, an diesem Tag anwesend und nahm Hermkes sofort als Büroleiter mit nach Augsburg. Als dessen Mitarbeiter konnte er dann in der Nische des Industriebaus, in der viele junge Architekten der Moderne nicht nur ein Auskommen fanden, sondern auch ihre Ideen weiter verwirklichen konnten, das Dritte Reich überwintern.
Bis 1945 gestaltete er verschieden Rüstungswerke und mit dem Bau der Motorenwerke MAN im Hamburger Hafen fand er schließlich sein endgültiges Domizil. Hermkes war sich durchaus bewußt, was und für wen er baute, sah aber in seiner Lebenssituation keinen anderen Weg.
Nach der Kapitulation zählte er, der nie in der Partei gewesen war, dann zu den ersten Adressen für die Bauwünsche der Engländer, die ja auch die Grindelhochhäuser ursprünglich in Auftrag gegeben hatten. In den folgenden, seinen regsten Jahren baute Hermkes dann unter anderem die Großmarkthallen, die mit ihrem wellenförmig geschwungenem Dach jeden von auswärts mit der Bahn nach Hamburg Kommenden beeindrucken, das Audimax, die Kennedy-Brücke, mehrere SAGA-Siedlungen - die bekannteste in Lurup -, das Staatsarchiv oder das Albert-Schweizer- Gymnasium.
Trotz der außergewöhnlichen architektonischen Kultur von Hermkes Bauten ist die Hansestadt damit meistens eher grob fahrlässig umgegangen. Einige seiner schönsten Arbeiten, die Bauten für die IGA 53, deren künstlerische Gesamtleitung er inne hatte, wurden sinnloserweise abgerissen (etwa der Philipsturm oder das „Schildkröte“ genannte Gewächshaus). Andere wie die Grindelhochhäuser oder seine SAGA-Siedlungen wurden gegen seinen ausdrücklichen Willen baulich entstellt und die Großmarkthallen waren bis zum Scheitern des Projektes durch den Bau der Mehrzweckhalle bedroht.
Herkmes letzte bauliche Tätigkeit, die Ergänzungsbauten zu seinen Großmarkthallen, ist erst drei Jahre her. Seit dem beschäftigt er sich mit dem Ordnen seiner Unterlagen, die er dem Hamburger Staatsarchiv und der TU Berlin zur Verfügung stellen will, wo er von 1955-69 ordentlicher Professor gewesen war.
Über Hamburgs neues Bauen schweigt er sich gentlemen-like aus. Nur das neue Gruner+Jahr- Gebäude am Vorsetzen findet seine offen Mißbilligung, weil seine Architekten die Lehren von Raum und Licht der Moderne so kläglich ignoriert haben. Aber was zählt schon im Stadtfluß die Weisheit der Alten? Till Briegleb
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