: Kommt ganz natürlich
■ Konsens live in Concert: Arrested Development
In ihrer Andersartigkeit muten 1993 all diese Bekenntnisse zu Glaube, Liebe, Hoffnung im HipHop noch merkwürdiger an als der zynisch-frivole Gangster-Rap nach den Unruhen in Los Angeles. Dies ist die neue Theologie der Befreiung, nicht mit dem Schwert oder der Neun-Millimeter – sondern die des Wortes und der erhobenen Faust. Back to the Roots, 1993 A.D., wie es in großen Lettern von der Bühne prangt. A.D., Anno Domini, im Jahr des Herren, Arrested Development: die buchstäbliche Metapher ist gewollt.
Die sechs RapperInnen aus Atlanta/Georgia verstehen sich als Brücke zwischen neuer und afrikanischer Ur-welt, womit sie sich – dank des weltweiten Imagetransfers via MTV – mittlerweile in jeder Zivilisation heimisch fühlen dürften: Think locally, act globally.
Zur Einstimmung haben sie sich eine jazzrappende Wohngemeinschaft aus dem Londoner Underground auf die Bühne geholt, die, ethnisch quotiert mit vier Farbigen an Plattenspielern und Mikrofonen sowie einer vierköpfigen weißen Backingband, bestehend aus Baß, Gitarre, Congas und Flöte, sehr luftigen Acid-Jazz unter die Menge streut. Ihr MCBello erzählt dazu Geschichten von Brüdern und Schwestern, die vom rechten Weg abgekommen und nun in der Dunkelheit gefangen sind; Drogen nehmen, mit Pistolen herumfuchteln oder ganz allgemein negative Tendenzen in ihrem Herzen bergen. Dagegen wird die full essence of hey and ho verkündet, auf die sich das Publikum fröhlich eingroovt. Auch der Metaller in Motörhead-Montur ist für diesen Anlaß ohne viel Aufhebens politisch korrekt eingestellt. Am Ende muß der DJ einige unermüdliche Claqueure bitten, doch wenigstens zu „warten, bis der Beat kommt“. Auch das ist neu: Sein Gesuch wird sofort erhört.
Schon mit der darauffolgenden Bühnendramaturgie der ADs beginnt sich die naive Unmittelbarkeit der Vorgruppe dann historisch zu verzahnen: Accessoires vom Bauernhof, Heugabeln, Holzfässer und eine Postbotentasche voller Platten. Das sind nicht mehr die Existenznöte der Menschen aus Brooklyn oder Babylon, das will Aufklärung sein – Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unlauterkeit.
Den Anfang im Selbstentwerfen macht Papa Ocean, die sechzigjährige Galionsfigur der neuen Allianz aus Erdverbundenheit und Selbstbewußtsein innerhalb der black community. Seine Botschaft muß man wohl als Emanzipation vom politischen Diskurs, wie wir ihn bisher kannten, verstehen: „Ich habe den Zweiten Weltkrieg, den Kalten Krieg, Korea und Vietnam, den Bürgerkrieg, den Golfkrieg und die Aufstände in Los Angeles miterlebt. Ich war Nigger, Schwarzer, Farbiger und dann Afroamerikaner. Heute stehe ich hier als der, der ich bin, als Afrikaner.“ Und sein Stamm – während der alte Mann wie ein Häuptling zwischen den Fässern thront – tanzt um ihn herum, als Brüder und Schwestern die abwesende Mutter besingend: „Mama's Always on Stage“.
Der Rest des Abends ist in seiner intuitiven Richtigkeit fast schon beängstigend. Speech predigt power to the people und setzt die Vorzüge des Matriarchats gegen die Sprache der Gewehre. Statt die gegenwärtigen Bedingungen zu beklagen, beharrt er auf den Bedürfnissen, nach denen sich schwarze Kultur 1993 konstituieren könnte. Sie kommen natural, unter Umgehung der Ökonomie. Das Sein löst das Bewußtsein in Wohlgefallen auf. Das ist Pop auf dem Laufsteg des Sozialgefühls, hat aber auch etwas von Gospel: selbst bei „Revolution“, dem Song über MalcolmX, dessen jugendlicher Hoffnungselan bei dem lebenserfahreneren Ice-T auf totale Ablehnung stößt. Auch für seine Kritiker hat Speech eine Antwort parat: „Ein Afrikaner sucht den Weg aus dem Ghetto, der Nigga akzeptiert seine Lebensumstände.“ Harald Fricke
Nächste Termine: 31.3. Stuttgart, 1.4. Frankfurt, 2.4. Bielefeld, 4.4. Köln, 5.4. Nürnberg, 6.4. München
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