piwik no script img

„Das ist ein Hammer“

Mildes Urteil im Fall Krabbe: Der DLV-Rechtsausschuß verurteilte Katrin Krabbe und Grit Breuer wegen „Sportwidrigkeit“ zu einem Jahr Sperre  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Der alte König Salomon wäre begeistert über das Urteil des Rechtsausschusses des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) im Fall Katrin Krabbe. Mit einer zwölfmonatigen Sperre kamen die beiden Sprinterinnen Katrin Krabbe (23) und Grit Breuer (21) wiederum recht glimpflich davon, gleichzeitig wurde der internationale Aufschrei des Entsetzens vermieden, den ein neuerlicher Freispruch hervorgerufen hätte. Am 14. August 1993 dürfen die beiden Athletinnen wieder an den Start gehen, einen Tag nach Beginn der Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Stuttgart und genau ein Jahr, nachdem ihre B-Urinprobe zweifelsfrei die Einnahme des Stoffes Clenbuterol bestätigt hatte.

„Jede Wette, die lassen sie wieder laufen. Die haben nächstes Jahr Weltmeisterschaft in Stuttgart, da brauchen sie Krabbe“, hatte die Olympiazweite über 100 Meter, Juliet Cuthbert (Jamaika), spontan gesagt, als sie in Barcelona von dem erneuten Vergehen Krabbes erfahren hatte. Diese war kurz zuvor von dem Vorwurf freigesprochen worden, ihre Dopingprobe im südafrikanischen Stellenbosch manipuliert zu haben. Damals hatten die Sprinterinnen Krabbe, Breuer und Möller identische Urinproben abgegeben, wegen angeblichen Formfehlern und Mangel an Beweisen hatte sie der DLV-Rechtsausschuß jedoch freigesprochen, ein Urteil, das der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) zähneknirschend übernehmen mußte.

Nach den Richtlinien der IAAF wäre diesmal eine vierjährige Sperre wegen Dopings fällig gewesen, doch der Rechtsausschuß- Vorsitzende Wolfgang Schoeppe hatte schon vorher durchblicken lassen, daß dies für sein Gremium wohl nicht in Frage käme. Die Möglichkeit eines Freispruches sei hingegen durchaus gegeben. Im Endeffekt scheuten die Richter jedoch das verheerende internationale Echo, das ein weiteres Reinwaschen der Neubrandenburgerinnen durch den DLV hervorgerufen hätte. Der Dopingvorwurf wurde fallengelassen, dafür zauberte der Ausschuß den Begriff der Sportwidrigkeit aus dem Hut, um der Notwendigkeit zu entgehen, einen Freispruch oder lediglich eine viermonatige Sperre wegen Aufputschens zu verhängen. Krabbe und Breuer bekamen ein Jahr Sperre „wegen einer Sportwidrigkeit durch Medikamentenmißbrauch“. Die dritte Beteiligte, Manuela Derr (21), die die Einnahme von Spiropent freiwillig gestanden hatte, wurde acht Monate gesperrt. Die Befürchtung der Juliet Cuthbert wird auf diese Weise nicht wahr. Da sich Krabbe und Breuer nicht für die WM qualifizieren können, werden sie dort auch nicht starten.

Im Mittelpunkt des Streites stand von Anfang an der Wirkstoff Clenbuterol, der in dem von den Sprinterinnen geschluckten Asthmamittel Spiropent enthalten ist. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die IAAF hatten eindeutig festgelegt, daß Clenbuterol einen anabolen Effekt habe und damit zu den verbotenen Mitteln zähle, internationale Gutachter hatten jedoch den anabolen Charakter von Clenbuterol bestritten. Der DLV-Rechtsausschuß folgte eher letzteren. „Clenbuterol war nicht hundertprozentig einzuordnen“, sagte Wolfgang Schoeppe als Begründung für den fallengelassenen Dopingvorwurf.

Etliche Sportlerinnen und Sportler wußten Clenbuterol, das – obwohl auch dort verboten – in der Kälbermast verwendet wird, hingegen sehr wohl einzuordnen. Schnell wurde das Wundermittelchen, das die Wadenmuskeln von Lämmern binnen zwei Monaten um 40 Prozent anschwellen ließ, von den einschlägigen Kreisen entdeckt und entwickelte sich zur Modedroge in Sportlerkreisen. Besonders in Großbritannien und den USA verbreitete es sich seit 1988 „seuchenartig“, wie der Heidelberger Biologe Werner Franke sagt, im „Underground Handbook for Men and Women“, der Bibel der Dopingszene, wurde es wärmstens empfohlen. Zudem hatte es den Vorteil, daß die Dopingfahnder damals noch nicht nach ihm suchten, da es auf keiner Dopingliste namentlich erwähnt war. Rechtlich spielt das allerdings keine Rolle, da die anabole Wirkung zur Einordnung in die verbotenen Dopingmittel ausreicht. Als die Kontrolleure auf den Stoff aufmerksam wurden, kamen sogleich eine ganze Anzahl von Clenbuterol- Fällen ans Licht, darunter so bekannte Leute wie die britische Sprinthoffnung Jason Livingston.

Ungewiß ist, ob sich die IAAF den DLV-Verstoß gegen ihre Richtlinien bieten lassen wird. „Ich kann mir vorstellen, daß die IAAF das Urteil genau lesen wird“, meinte DLV-Rechtswart Norbert Laurenz. Wolfgang Schoeppe dagegen glaubt nicht, daß Krabbe und Co. von der IAAF vorgeladen werden: „Nach dem, was im ersten Prozeß in London gelaufen ist, kann ich mir das nicht vorstellen. Die IAAF ist schlauer geworden.“

Katrin Krabbes Vater Peter nahm die Kunde von dem Urteil mit Genugtuung zur Kenntnis: „Das ist ein Hammer. Der DLV hat alles versucht, Katrin und Grit ein Doping-Vergehen anzuhängen und erlebte zum zweiten Mal eine Bauchlandung.“ Weniger begeistert war Helmut Digel, der am 24. April auf dem DLV-Verbandstag für das Präsidentenamt kandidiert. Er reagierte enttäuscht: „Das Urteil ist zu respektieren. Doch die Diskussion über das Verfahren und die Strafe wird neu zu führen sein.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen