■ Cash & Crash: Murphys Gesetz
Zum Mars fliegen und den Urknall berechnen, eine Stunde lang Ironman sein, Roboter durch den Raum spazieren lassen oder schlicht nur Börsenkurse extrapolieren – alles kein Problem. Der Computer macht's möglich; schließlich sind die zahlenausspuckenden Kisten ein Universalwerkzeug, so steht es im Lehrbuch. Doch die rauhe Wirklichkeit scheint in den Fabriken der technischen Illusion oft im Wirrwarr der Computersysteme untergegangen zu sein.
Das beste Beispiel dafür liefert IBM, der Inbegriff der amerikanischen Wirtschaftsmacht. Noch vor Jahren galten Papiere des Branchengrösus als so krisensicher wie die Goldbarren in Ford Knox; heute steht der Aktienkurs mit rund 55 US-Dollar so schlecht wie seit langem nicht mehr. Wer 1982 noch vor dem Computer-Boom eine Million in den „blue chip" investierte, ist heute um mehr als 150.000 Dollar ärmer. Allein im letzten Jahr verlor das Flaggschiff der Computerbranche 44 Prozent an Marktwert und zog damit den Dow-Jones-Index um 85 Punkte nach unten – Tendenz weiter fallend. Der Grund für den Einbruch: Das Unternehmen schloß das Geschäftsjahr 1992 mit einem Rekordverlust von 4,97 Milliarden Dollar ab. Doch selbst bei den roten Zahlen blieb der mit über 64 Milliarden Dollar Umsatz weltgrößte Computerhersteller seiner Extraklasse treu: Die Riesendefizite markierten zugleich den größten Verlust, den je ein amerikanisches Unternehmen erwirtschaftet hatte.
So geht das eben, auch einem Primus bleiben Demütigungen nicht erspart. Immer wieder schlug Murphys Gesetz gnadenlos zu: Alles lief schief, „Big Blue" verspielte wegen zahlreichen Managementfehler und der Arroganz eines Klassenbesten die Vormachtstellung. Noch ist zwar jede der IBM-Sparten größer als der jeweilige Branchenführer und IBM-Software setzt viermal soviel um wie etwa der ehemalige Partner und heutige Rivale Microsoft. Doch dessen Aktien haben mit 85 Dollar IBM bereits überflügelt. Treffen die Prognosen der Analysten zu, die die Micosoft-Titel bereits über 100 Dollar klettern und die IBM- Kurse weiter fallen sehen, dürfte IBM-Schreck Bill Gates in diesem Jahr den Blauen Monolithen sogar im Börsenwert überrunden. Und andere Technologieunternehmen wie Dell Computer, Intel oder Motorola, die auf Kosten von IBM groß geworden sind glänzten 1992 ebenfalls mit satten Gewinnsteigerungen trieben den Nasdaq-Index der Nebenwerte um 15 Prozent in die Höhe.
Doch der Niedergang des Lochkartenhauses IBM markiert eine Wende. Mit IBM zerfällt das Symbol des Computerzeitalters, andere werden folgen. Die Zeit der fetten Wachstumsraten und optimistischen Prognosen ist passé; die Computerhersteller, die in den 70er und 80er Jahren alle aufnahmen, die gerade einmal Bits von Bytes unterscheiden konnten, setzen heute die Leute zu Zehntausenden wieder auf die Straße. Den besten Riecher, wo im Computergeschäft noch Geld zu verdienen ist, haben die Amerikaner. Wehe dem, der da aus dem Tritt gerät. Erwin Single
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