: Der Volkswaller
■ Stilleben auf Tellern und Vasen — Jürgen Wallers Pikanterien
Eine riesige Idee, ein traumhafter Gedanke, und dazu von hoher moralischer Qualität: All jene, die sich Bilder des Künstlers und Kunsthochschul-Rektors Jürgen Waller nicht mehr leisten können, bekommen jetzt ihre Chance! Wer mit 450 Mark dabei sein will, suche das Gerhard Marcks-Haus auf — im ehemaligen Klo, das heute als Museumspavillion fungiert, verkauft Waller bemalte Kacheln. Zur Ansicht liegen dort Schaustücke einer Reihe von Sonder-Editionen aus, die ja bekanntlich Super-Steigerungsraten erwarten lassen. Wer jetzt beim Einführungspreis zuschlägt, kann sich seine Sanitärzelle mit Wallers pflastern und in kurzer Zeit reich werden!
Die Motive sind eingängig und zeitlos: getöpferte Vasen werden mit tanzenden Jungfern verziert (2.300 DM); große Kacheln sind
schmuck mit freundlichen Stilleben glasiert (Fisch, Apfelsinenscheibe, Weinkrug, 1000 Mark). In der sog. „Schmuddelnische“ des Ex- Toilettenhäuschens, für Kinderaugen unerreichbar, präsentiert sich Ware für Spezialisten: Auf Bodenvasen tummeln sich a la Greque in der Art der Hunde kopulierende Paare. Es ist bekannt, daß derzeit gerade der Markt der Pikanterien und Erotica boomt. Erfreulich, daß der Pariser 68er-Aktivist, der Seit' an Seit' mit Clochards unter Brücken schlief, der Berliner „rote Waller“, der seine Motive bei der arbeitenden Bevöklerung fand, sich nicht heute, da der Wind gedreht hat, saturiert zurückzieht. Nein, er denkt an die Minderbemittelten und Zukurzgekommenen der Gesellschaft und produziert Tonteller als Volkswaller. Bus
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