: "Unsere Musik ist unser Kind"
■ Die Autorin und Liedermacherin Annette Berr gastiert in Hamburg / Ein Gespräch über Klugheit, Sex und Lebensart
INTERVIEW
»Unsere Musik ist unser Kind« Die Autorin und Liedermacherin
Annette Berr gastiert in
Hamburg/Ein Gespräch über Klugheit, Sex und Lebensart
Die Berlinerin Annette Berr ist nicht nur bekannt durch ihre Autorenschaft („Nachts sind alle Katzen breit“, Galgenberg Verlag), sondern auch durch ihre Arbeit als Sängerin und Texterin in ihrer Band, die sich ebenfalls „Annette Berr“ nennt. Im April wird Annette Berr erstmalig auf Tournee sein und auch in Hamburg gastieren, um ihre zweite LP „Haus mit 13 Zimmern“ vorzustellen. Zu ihrer Band gehören die ehemaligen Mitglieder der Berliner Gruppe „Die Stricher“, Jan Pieper (Klavier) und Siewert Johannsen (Gitarre). Annette Bolz sprach und stritt mit Annette Berr und ihrer Band.
Ihr werdet oft mit Hildegard Knef und den Liedern von Brecht/Weill verglichen. Sind das eure musikalischen Vorbilder?
Berr: Melanie! Melanie! Patti Smith habe ich früher bis zum geht nicht mehr gehört, Alex Harvey auch.
Johannsen: Vorbilder? Ich hör kaum Musik.
Pieper: Als ich vierzehn war, mochte ich Keith Richard, weil er so schön viel trinken konnte. Heute? Blumfeld vielleicht, und die Neubauten.
Berr: Ich kenne Hildegard Knef von meiner Mutter, in der Küche, und zwar exakt zwei Stücke: „Ich hab noch nen Koffer in Berlin“ und „Eins und eins, das macht zwei“ (singt das Stück vor). Aber der Vergleich nervt schon, weil jeder Mensch den Wunsch und den Anspruch auf Einzigartigkeit hat und wir, die wir zu dritt arbeiten, sicherlich auch den Wunsch haben, etwas zu machen, was es vorher so nicht gab. Wir arbeiten auch nicht mit Disharmonien und, wie ich mir hab sagen lassen, mit Septimen-Geschichten, sondern wir nehmen viel mehr diese Mollsachen rein, wir experimentieren auch gar nicht so viel wie Brecht/Weill.
Pieper: Interessant. Ach so. Gut. Wir machen nur Moll.
Annette, findest du für dich die Bezeichnung 'deutsche Chansonette' passend?
Berr: Was sagt die Firma dazu? Wobei ich finde, wir machen Lieder. Nicht im Sinne von Liedermacher, sondern im Sinne von Lieder machen. Aus dem Freundeskreis haben wir aber auch mal gehört, unsere Musik wäre Senfgas.
Wo ist der Punkt bei eurer musikalischen Arbeit, an dem ihr das Gefühl bekommt, daß eure Arbeit, daß ein gerade komponiertes Stück jetzt gut ist?
Pieper: Du fühlst, wenn es gut ist. Du versuchst, Gefühle immer mehr auf den Punkt zu bringen. Es gibt einen Trend zum Fake, und das versuchen wir zu vermeiden. Wir wollen unsere Gefühle, unsere Geschichten optimal umsetzen.
Die Gefühlspalette auf der Platte ist ja sehr eng.
Pieper: Wenn drei Leute an einem Stück arbeiten, läßt jeder von sich ein Stück weg. Insofern werden die Stücke auf eine Art und Weise gleich. Aber das ist auch das, was den Stil einer Band ausmacht.
Du hast mal in einem Interview gesagt, ihr würdet kluge Texte machen. Inwiefern sind deine Texte klug?
Berr: Ich glaube, ich habe Schwierigkeiten, mit dir zu reden, ich habe keine Lust etwas zu verteidigen, von dem ich total überzeugt bin. Unsere Musik ist unser Kind, es ist wunderbar.
Ein Stück auf der neuen Platte heißt „Ich kann die Welt nicht ändern“. Hast du resigniert?
Berr: Wahrscheinlich sag ich in den Texten immer dasselbe: Leb dein Leben, ich leb meins. Ich hasse die Leute, die immer jammern und die Schuld bei anderen suchen. Dazu zähle ich mich nicht.
Zu dem Stück „Kerle“: Du warst frü-
1her in der Berliner Lesbenszene zu finden. Hast du dich verändert?
Berr: Es gibt ja Frauen und Lesben, die sich über das Stück ärgern und sich regelrecht verraten fühlen. Ich finds gemein, wenn ein Mensch ein Leben lang festgenagelt wird. Ja, ich schlafe mit Männern und lebe mit sechzehn Frauen und ich werde nie mit Männern zusammen
1leben, sondern immer meine politische Lebensform beibehalten. Wir wollen ein Künstlerinnendorf am Rande von Berlin gründen, wo wir alle leben können, alternde Künstlerinnen aufnehmen und behinderte Kinder.. das ist mein Leben.
13.4., Logo, im Rahmen der Hörproben-Reihe, gemeinsam mit der Hamburger Band „Die Braut haut ins Auge“
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