■ Pro und contra gesellschaftliche Freiräume: Enklaven, nein danke
Seitdem es Ausländer in Deutschland gibt, hat es immer irgendwelche Organisationen, Parteien und Verbände gegeben, die sich der Vormundschaft dieser Gruppe „angenommen“ haben. So auch in den sogenannten Kopftuch-Affären, die es an vielen Schulen gegeben hat. Immerhin leben wir ja in einer multikulturellen Gesellschaft, und da gehöre es eben dazu, daß strenggläubige muslimische Eltern ihren Mädchen Kopftücher aufsetzen, so die Kopftuch-Befürworter. Die allzu oft mißverstandenen und in die rechte Ecke gedrängten Gegner argumentieren, daß das Kopftuch die Entfaltungsfreiheit der Mädchen hemme. Tatsache ist, daß Kopftuch und Schleier nicht nur ein Religionssymbol darstellen, sondern auch eine politische Uniform sind, die die Ideologie des islamischen Fundamentalismus verkörpern sollen. Als solche werden sie verstanden und bewußt getragen bzw. werden die Mädchen zum Kopftuchtragen erzogen. Dazu gehört auch, daß muslimische Eltern ihre Kinder aus dem Sport- und Schwimmunterricht fernhalten, weil es nicht dem Keuschheitsgebot im Islam entspricht. Die Folgen für die Fehlintegration dieser Mädchen liegen auf der Hand. Wie weit darf eine demokratische Rechtsordnung im Namen der Multikultur dem nachgeben? Diese Frage ist mehr als berechtigt.
Die vielbeschworene Multikultur lebt von dem, was ihr die herrschende politische Klasse zugesteht. Eine gemeinsame politische Basis, auf der diese Diskussion ausgetragen werden kann, fehlt bislang. Doch das Zusammenleben in einer Vielvölkerrepublik erfordert die ständige Auseinandersetzung über die Form der Gemeinschaft aller beteiligten Kulturen. Da braucht es keinen, der den Ausländern ihre kulturellen Enklaven erkämpft, in denen sie sich dann noch fester an die althergebrachten Wurzeln klammern, die ohnehin nicht im Einklang mit den im Aufnahmeland gegebenen Lebensbedingungen stehen.
Die Einwanderer müssen nach 30 Jahren endlich durch politische Partizipation aus ihrem „armen“ Ausländerdasein herauskommen. Das kann aber nicht bedeuten, daß sie ihre ursprüngliche Kultur zum Nonplusultra machen. Denn die Spielregeln für eine Vielvölkerrepublik bestehen nicht nur darin, Toleranz zu fordern, sondern stets, selber tolerant zu sein.
Einwanderung ist immer mit einem Identitätsverlust verbunden. Schon die Aufgabe der heimatlichen Umgebung ist ein erster Schritt dahin. Es ist sicher wichtig, auf einen Teil der eigenen kulturellen Identität zu beharren. Doch wie kann man in einem laizistischen Bildungssystem mit dem Phänomen der sexuellen Aufklärung umgehen, wenn die Hälfte der Kinder einer Klasse aus dem Unterricht ausgeschlossen wird, weil sie Muslime sind. Spätestens dann, wenn von den muslimischen Eltern die Abschaffung der Koedukation gefordert würde, wird es keine Solidaritätsaktionen für die diskriminierten Ausländer mehr geben. Dann sind die Grenzen der Toleranz erreicht. Ilyas Mec
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