Moschee neben Pornokino

Schlaraffenland der ethnisch unbegrenzten Möglichkeiten oder der alltägliche „Alptraum Multikulturalität“? Eine Bestandsaufnahme  ■ Von Hakan Songur

Stelle man sich vor, es gibt Badezeiten für muslimische Frauen, und keine geht schwimmen. So ungefähr sieht es neuerdings jeden Mittwoch zwischen 13 und 14 Uhr in Stadtbad-Mitte in Frankfurt aus. Mit dem Engagement der Kommunalen Ausländer- und Ausländerinnenvertretung (KAV) und dem Amt für multikulturelle Angelegenheiten hatte man die schon seit Jahren geplanten „muslimischen Schwimmzeiten“ durchgesetzt. Jetzt muß sich zeigen, ob ein länger andauerndes Bedürfnis besteht oder ob sich diese Forderung als politischer Selbstzweck entpuppt und seine Funktion im Kampf der Ausländer um mehr politische Mitbestimmung erfüllt. Über 30 Jahre Migrationsgeschichte, die aus der Bundesrepublik offiziell immer noch kein Einwanderungsland gemacht haben, machen eins deutlich: Minderheiten sind dazu da, sich Freiheiten zu erkämpfen und das tun zu dürfen, was für sie im Grunde natürlich und selbstverständlich ist. Sei es auch das Tragen des „Symbols für die Entrechtung und Demütigung von Frauen durch männliche Fundamentalisten der islamischen Welt“, sprich das Kopftuch, so die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer.

Von Anfang an hatten sich übereifrige „Integrationshelfer“ daran gestört, daß muslimische Frauen sich isolieren und abschotten und so keine Kommunikation mit ihnen möglich sei. Seit jeher galt das Kopftuch als rotes Tuch in den Stieraugen einer intoleranten Aufnahmegesellschaft, die nicht nur aus Deutschen, sondern auch aus integrationswütigen Ausländern bestand, die es für dringend notwendig und angebracht hielten, dieses empörende Textilstück zu verdammen. Jahrelang war es still geworden um das legendäre Kleidungsstück.

Die Stadt Dietzenbach in Hessen machte Anfang dieses Jahres in dieser Sache Schlagzeilen: Muslimische Mädchen bekamen Schwierigkeiten mit dem Schuldirektor. Prompt wurde aus dem Konflikt eine „Kopftuch-Affäre“. Jüngstes Beispiel: Die Anschuldigungen der Schülerschaft der Frankfurter Deutschherrenschule, daß die Rektorin der Schule ausländerfeindliche Äußerungen gemacht habe. Sie hätte muslimischen Mädchen das Tragen des Kopftuches verbieten wollen. Abgerundet wurde das absurde Spiel durch die sogenannte „Solidaritäts-Kopftuch-Aktion“. Deutsche Frauen sollten auf Vorschlag des evangelischen Pfarrers Gerhard Williges einmal im Monat öffentlich ein Kopftuch als Solidaritätsbekunden tragen. Im Zeitalter der Lichterketten, in der eine Gesellschaft sich gegen Rassismus und Gewalt gegenüber Ausländern nur noch mit sehr „kreativen“ Hilfsmitteln zu wehren weiß, ein weiterer Beweis dafür, daß die Politik versagt hat und die Gesellschaft um Antworten auf brisante Fragen verlegen ist.

Wie weit darf eine Gesellschaft gehen, die sich multikulturell versteht und dieser Tatsache Rechnung tragen will? Religiöse und kulturelle Identität der einzelnen Ethnien soll nach Möglichkeit in keinster Weise angetastet werden. Religionsfreiheit, die im Grundgesetz garantiert wird, bedeutet auch in der Praxis die Ausübung jeglicher religiös geprägter Rituale, die in einem urbanen Geflecht von unterschiedlichen Interessengemeinschaften oft seltsam und skurril anmuten.

So empörten sich deutsche Nachbarn über ihre türkischen Mitbewohner, als diese zum „kurban bayrami“, dem traditionellen Opferfest, mitten auf dem Hof ein Tier schlachteten. Polizei und Ordnungsamt mußten sich einschalten: Alltagssituation eines „multikulturellen Alptraums“. Ein Weg aus dem Konflikt besteht oft nur in der Regelung durch eine städtische Instanz, innerhalb derer sich eine wie auch immer gestaltete Interessengemeinschaft bewegen kann. So gab es Anfang der siebziger Jahre in verschiedenen Städten Deutschlands die Möglichkeit für muslimische Familienväter, ihre Opfertiere nach dem Fastenmonat Ramadan selbst nach dem strengen Ritual zu schlachten. Die Gewißheit, daß das Tier „fachgerecht“ geschlachtet und das Fleisch dadurch in Ordnung ist, war für einen gläubigen Moslem wichtig. Doch diese Zeiten sind vorbei. Der Schlachthof in Berlin-Spandau hat längst zugemacht; aus veterinärrechtlichen Gründen darf ein Privatmensch kein Tier schlachten. Heute sieht die Praxis so aus: In den Berliner Schlachtbetrieben kümmern sich geschäftstüchtige türkische Großhändler um das gesellschaftlich notwendige Ritual. Sorgfältig ausgesuchte Tiere werden von einem Fleischer fachmännisch „angeschnitten“. Der Betriebsleiter der Schlachtbetriebe, Peter Wanderburg, betont, daß „der Fleischer, der die Tiere schlachtet, ein Türke ist, den die Muslime in Berlin sehr gut kennen. Er besitzt das Vertrauen der Leute, die das Fleisch später in den türkischen Geschäften kaufen.“ Das religiöse Ritual muß in das gesellschaftliche Rechtssystem integriert und somit auch zwangsläufig modifiziert werden. Wenn Muslimen das Schlachten von Opfertieren offiziell verboten wird, dann geschieht es im Keller eines Wohnhauses.

Wenn Muslimen keine anderen räumlichen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, dann wird eben eine provisorische Moschee direkt neben einem Pornokino errichtet. Die Moschee in der Frankfurter Kaiserstraße ist da nur ein Beispiel.

Zwei in sich jeweils auf ihre eigene Weise bizarre Welten prallen nicht aufeinander, sondern laufen ganz nüchtern nebeneinander her, unberührt und unbetroffen. Auffällig ist, daß in den häufigsten Fällen Muslime und hier vor allem Türken mit ihren Forderungen auf Unverständnis und Ablehnung stoßen. So kann es eine deutsche Öffentlichkeit nicht akzeptieren, daß eine Moschee mit ihren Minaretten das Stadtbild prägt. Eine weniger auffällige Synagoge hätte es da vielleicht ein wenig leichter.

Immer wieder kommt es zum Konflikt zwischen der Stadtverwaltung und den islamischen Gemeinden, die auf ihre eigenen Kosten eine Moschee in „ihrer“ Stadt bauen wollen.

Nicht auszudenken, welche Proteste es geben würde, wenn Muslime darauf bestehen würden, daß die Gebetsrufe des Imam im deutschen Lande ebenfalls ertönen sollten. Eine Vorstellung, die uns an die Grenzen unserer Toleranz bringt. Und hier sind nicht nur Deutsche, nicht nur Christen, sondern auch Ausländer und faktische Muslime gemeint, die mit der Religion nicht viel anfangen können. Dennoch stößt das Ertönen der alltäglichen Kirchenglocken nicht auf Empörung.

Die vielbeschworene Multikulturalität kann in der Praxis für alle Beteiligten sehr schmerzhaft sein. So meinte ein Chilene kürzlich in einer Diskussion zu diesem Thema ganz treffend, daß „die Multikulturalität noch gar nicht geboren“ sei.