: Auf zum letzten Gefecht
■ 100.000 warnstreikten gestern
Berlin (taz/dpa) – Selbst die IG Metall zeigte sich gestern überrascht, wie viele ihrer ostdeutschen Mitglieder und Nicht-Mitglieder dem Aufruf folgten, mit Warnstreiks gegen den Bruch der Tarifverträge durch die Arbeitgeberverbände zu protestieren. Nach Angaben der Gewerkschaft legten mit Beginn der Frühschicht fast 100.000 ArbeiterInnen der Stahl-, Metall- und Elektroindustrie für einige Stunden die Arbeit nieder und versammelten sich zu Kundgebungen, blockierten Straßen und Werkseinfahrten.
Die „Kampfmaßnahmen“, die die 221 betroffenen Betriebe allerdings nicht besonders hart treffen dürften, dauerten vorerst nur einige Stunden. Gefordert wird die Einhaltung des abgeschlossenen Tarifvertrages, der den ArbeiterInnen zum 1. April einen Lohnsprung von 71 auf 82 Prozent des westlichen Tariflohns bringen sollte. Das hätte einer Erhöhung um 26 Prozent entsprochen.
Die Arbeitsgeber rechtfertigten gestern die einseitige Kündigung des abgeschlossenen Vertrages mit den alten Argumenten und sprachen von „besonderen wirtschaftlichen Notlagen der Unternehmen“, die allerdings zu 40 Prozent noch der Treuhand gehören.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) appellierte an die IG Metall, ihre „politisch motivierte Blockade der Tarifpolitik aufzugeben“ und die Gespräche wieder aufzunehmen. „Die Lohnabschlüsse im Osten können sich nicht am Anpassungstempo zum Westen orientieren, sondern müssen zunächst das Erreichte sichern“, erklärten die Arbeitgeber.
Der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel sagte in einem Interview: „Mit dem 1. April ist der Rechtsbruch der Metall- und Stahlarbeitgeberverbände in Ostdeutschland perfekt geworden.“ Für die Gewerkschaft bleibe in dieser Situation „der Warnstreik und – wenn es sein muß – der Streik das letzte Mittel der Gegenwehr. Verabredete Einkommenssteigerungen würden den Arbeitnehmern „rechtswidrig geraubt, ohne daß sie die Miete oder die Stromrechnung entsprechend kürzen oder im Lebensmittelgeschäft weniger bezahlen können“, erklärte Zwickel.
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infas halten 74 Prozent der Ostdeutschen es für gerechtfertigt, wenn für die „Angleichung der Löhne und Gehälter an das Westniveau“ in manchen Branchen auch gestreikt wird. Berichte Seite 5
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