: Türkische Zustände?
■ Schon wieder Vorwürfe gegen die Revierwache 16: Zivilfahnder soll aus jugendlichen "Geständnis" herausgeprügelt haben / Polizei: "Da war nichts"
: Zivilfahnder soll aus
Jugendlichen »Geständnis« herausgeprügelt haben / Polizei: »Da war nichts.«
Schläge zu verteilen, um eine Aussage zu erpressen, ist im Folterstaat Türkei sicher etwas Normales. Dieser Methoden sollen sich nun jedoch (erneut) Zivilfahnder der Lerchenwache bedient haben. Die Opfer: Murat V. und Patrick B. Ihr Anwalt Ernst Medecke hat gestern Strafantrag wegen „Aussageerpressung“ und „Körperverletzung“ gestellt.
Darum geht's: Der vorige Dienstag sollte ein netter Dom- Abend werden. Die beiden jungen
1Männer waren ausgelassen, als sie gegen 20 Uhr plötzlich von Zivilfahndern aufgefordert wurden, sich auszuweisen. Patrick B. hatte keine Papiere dabei. Die beiden 20jährigen wurden wegen „Verdachts des Drogenkonsums“ mit zur Domwache (Außenstelle der Wache 16) genommen und dort in zwei Zellen gesperrt. Patrick B.: „Plötzlich kam ein Zivilpolizist herein und fragte mich: ,Du sagst doch Wahrheit?‘ Ich sagte: Ja! — und schon bekam ich eins ins Gesicht.“
1Schlimmer erging es Murat V. in der Nachbarzelle: „Während der Durchsuchung wurde ich mehrfach geschlagen.“ Beim Filzen fand man bei ihm eine Telefonkarte mit einem Werbeschriftzug für das digitale „D1-System“ der Telekom. Der Beamte habe daraus geschlossen, daß diese Karte aus einem mobilen Telefon geklaut worden sei. Murat: „Er schlug mich wieder.“
Auch als der Fahnder einen Pfandschein über einen beliehenen Videorecorder fand, habe er gleich geschlußfolgert, der müsse gestohlen sein. Murat: „Er schlug mich wieder.“ Diese Szenerio wiederholte sich. Zum Beispiel, weil Murat laut Kontoauszug nur 400 Mark statt seiner 436-Mark-Wohnungsmiete gezahlt oder weil er ein Bußgeld wegen Schwarzfahrens nicht bezahlt hatte.
Dann fand der Beamte bei dem 20jährigen einen fremden Kontoauszug und Schecks. Um Näheres über die Herkunft zu erfahren, habe der Polizist dem 20jährigen abermals ins Gesicht geschlagen. Murat V.: „Es war so, daß er mich so lange geschlagen hat, bis er mich dazu brachte, bezüglich der Geschichte mit dem Kontoauszug die Wahrheit zu sagen. Denn ich habe die Schecks gefunden, zusammen mit einer Scheckkarte und in der Tat 300 Mark abgehoben.“
Schläge habe es auch gegeben,
1um eine Aussage über den vermuteten Drogenkonsum zu bekommen — auch wenn sie nicht den Tatsachen entspricht. Murat V. in einer eidesstattlichen Versicherung: „Ich erklärte, ich habe Haschisch geraucht. Er wollte jedoch hören, daß ich Heroin gespritzt hätte. Als ich dies verneinte, schlug er so lange auf mich ein, bis ich dieses zugab.“ Patrick B. bestätigt: „Ich habe aus der Nachbarzelle immer wieder Schmerzensschreie gehört.“ Bilanz: mehrere Schädelprellungen und eine Gehirnerschütterung.
Nach Polizei-Angaben hat es derartige Vorfälle nicht gegeben.
1Sprecher Hans-Jürgen Petersen zur taz: „Da war überhaupt nichts. Das war eine ganz normale ,1K‘-Anzeige wegen Scheckbetrug.“ Ob es sich bei dem Zivilpolizisten um einen „16E“-Fahnder gehandelt habe? Petersen: „Weiß ich nicht.“ Anwalt Ernst Medecke erinnern diese Zustände an „türkische Verhältnisse“. Aus seinem Mandanten sei praktisch die Aussage herausgeprügelt worden, die der 16-Fahnder hören wollte. Medecke: „Aussageerpressung ist nach Parapraph 343 StGB ein Verbrechen und wird mit bis zu zehn Jahren betraft.“ Kai von Appen
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