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"Also spielen wir Theater"

■ Gesichter der Großstadt: Boleslaw Barlog, über 27 Jahre hinweg Intendant des Schloßpark-Theaters, des Schiller-Theaters und der Werkstatt, wurde 87 Jahre alt

Berlin. Die Wände der gemütlichen Wohnung in Lichterfelde sind bedeckt mit Bücherregalen, dazwischen hängen Bilder, Zeichnungen, Graphiken, Fotos – Porträts der Freunde mit Widmungen, Landschaften, berühmte und beliebte Schauspieler aus Vergangenheit und Gegenwart – das alles erinnert an eine Kunstkammer vergangener Jahrhunderte, mit viel Liebe zur Kunst, zu den Künstlern zusammengetragen – von Boleslaw Barlog. So residiert er in seinem Reich am Spindelmühler Weg in Zehlendorf; wann immer er den Blick von dem Buch hebt, in dem er gerade liest, von seinen Briefmarken, mit denen er sich gerade beschäftigt, er schaut auf Otto Klemperer, Wilhelm Furtwängler blickt freundlich grüßend auf ihn herunter, dort hängt ein Foto mit einer Widmung von Leonie Rysanel-Gausmann, seiner Wiener Salome und und und und...

Dieses reiche Lebenswerk begann am Schloßpark-Theater, wo er unmittelbar nach Kriegsende wieder Theater machte. Barlog, seit Mitte 1963 Mitglied der Akademie der Künste, lebt in einem mit vielen barocken Möbeln eingerichteten Haus mit großem Garten mit hohen alten Bäumen. Er ist immer noch voller Lebendigkeit, voller Lust am Erzählen, vital, präsent, berlinisch burschikos, eben „Herz mit Schnauze“. Freundlich lächelnd schenkte Frau Hertha Tee ein, bot Kuchen an und beteiligte sich mit leisen, sparsamen Bemerkungen an der Unterhaltung. Sie war 16 Jahre lang seine persönliche Referentin, seit 1931 ist sie seine Frau.

Unerschöpflich ist sein Gedächtnis, wenn es um die Theater geht, die er 27 Jahre als Prinzipal geführt hat: das Schiller-Theater, das Schloßpark-Theater und die Werkstatt. Er erzählt lebendig, anregend, stundenlang von seinen Freunden, seiner Arbeit und seiner großen Liebe zur Musik, seiner Freundschaft mit Furtwängler wie mit Klemperer, mit Fricsay – und noch vielen anderen Großen der Musik. Ausführlich berichtet er von seinen „Entdeckungen“: Er holte Dramatiker an seine Bühnen, die man noch nicht kannte – wie Edward Albee, oder nicht spielte, wie Samuel Beckett. Er war Anreger für Regisseure wie Fritz Kortner, Ernst Schröder oder Rudolf Noelte.

Geboren wurde er in Breslau. „Aufgewachsen aber bin ich in der Goebenstraße, ganz nahe am Sportpalast. Klar, daß ich kein einziges sportliches Ereignis versäumte, vom Sechs-Tage-Rennen ganz zu schweigen, das mich so in Atem hielt, daß ich alles andere darüber vergaß. Nur eines nicht: Ich wollte zum Theater, ich mußte zum Theater. Es gab Umwege, die mir aber alle eine Menge Können und Wissen bescherten: Bei der Buchhändlerlehre konnte ich nach Herzenslust schmökern, bei der Aktiengesellschaft lernte ich Buchhaltung und anderes bürokratisches Handwerk, das ich später für meine Intendantentätigkeit gut verwenden konnte. Und mit den letzten Groschen ging ich ins Theater, aufs Juchhe!“

Doch der Sprung über die Rampe, der wollte nicht gelingen. Als er Paul Rose vom Rose-Theater den Faust-Monolog vorsprach, lag der vor Lachen bald unterm Stuhl und stöhnte immer wieder: „Herrlich, Mann, herrlich! Den Faust-Monolog mit Ihrem Lispel-S zu hören – ein einmaliger Genuß!“ Seine verschiedenen Tätigkeiten zum Brötchenverdienen waren Briefträger, Bademeister, Elektrokarrenfahrer, schließlich Orchesterdiener bei den Berliner Philharmonikern – da lernte er Wilhelm Furtwängler kennen, später wurde daraus Freundschaft.

Und dann endlich öffneten sich die Pforten zu Thaliens Tempel: 1930 wurde er unbezahlter Regieassistent „zum Kaffeeholen“ bei Karl Heinz Martin an der Volksbühne. Auch als Statist verdiente er nebenbei ein paar Groschen. Das erste richtige Engagement gab es zwei Jahre später, sogar mit 90 Mark Gage bei Heinz Hilpert, als Regieassistent an der Volksbühne.

„Doch dann kamen die ,neuen Herren‘, die gefielen mir ganz und gar nicht. Ich wurde arbeitslos. Ich dachte erst – na, der Spuk geht bald vorüber – denkste“, erzählt er. Zwischenspiel zum Überleben: Ordner bei der Olympiade 1936. Danach konnte Barlog bei Robert A. Stemmle und Wolfgang Liebeneiner als Regieassistent arbeiten; die Ufa und die Terra haben mit ihm Verträge. Auch durfte Barlog eigene kleine Filme drehen.

Aber dennoch wollte Boleslaw Barlog immer nur Theater machen. Der Weg dorthin war kurios: „Ich ging im Sommer 1945 eines Tages einmal los, um Lebensmittelkarten für mich und meine Frau abzuholen, und zurück kam ich mit einem Theater. Der Steglitzer Volksbildungsstadtrat Heise, mein ehemaliger Deutschlehrer, der meine Liebe zum Theater so richtig angefacht hatte, hatte mich gefragt, ob ich wollte. Und ich wollte. Ich übernahm das Schloßpark- Theater in einer Stadt, in der es kaum noch bespielbare Theater gab. Ich eröffnete das Theater dann mit den Worten ,Ich bin pleite‘ im Herbst 1945. Mit ,Hokuspokus‘ von Curt Götz hatte ich bald alle Schulden wieder abgetragen.“ 1951 wurde ihm das Schiller- Theater anvertraut, 1959 ließ er die Werkstatt einrichten.

Seine Laufbahn endete 1972 als Generalintendant der Staatlichen Schauspielbühnen nach 27 Jahren. Da „jing ick uff Rente“, sagt Barlog. Als freier Regisseur konnte er seiner großen Liebe zum Musiktheater frönen; er bekam Regieaufträge in Hamburg, Berlin, an die Wiener Staatsoper. In den Jahren seiner Intendanz hatte er selbst 50 Inszenierungen, Possen, Shakespeare, aber auch Zeitgenössisches auf die Bretter gestellt.

Beim Abschied gibt er noch sein Credo als Theatermann mit auf den Weg: „Die beste Regie ist die, die man am Abend nicht merkt, und wenn es mir gelingt, der schlechteste Regisseur an meinem Theater zu sein, dann leite ich ein sehr gutes Haus.“ Dagmar Wünsche

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