: Das Trinkwasser droht zum Giftcocktail zu werden
Serie: Die Last mit den Altlasten (vierte Folge)/ Wie sich die Wasserbetriebe gegen die Giftfrachten schützen/ Nahezu vierzig Prozent des Westberliner und über 50 Prozent des Ostberliner Grundwassers gelten als gefährdet ■ Von Thomas Knauf
Seit Anfang Januar erproben Bedienungsmannschaften an dem völlig von Bodenverunreinigungen eingekreisten Wasserwerk Johannisthal in Treptow eine neue, etwa 500.000 DM teure mobile Grundwasser-Reinigungsanlage. Im sogenannten Stripverfahren werden stündlich 150 Kubikmeter Wasser gesäubert. Das stark mit leichtflüchtigen Chlorkohlenwasserstoffen (LCKWs) verunreinigte Wasser stammt aus drei Brunnen der nahen Galerie Alte Königsheide. Nach Vorbehandlung wird es in der Anlage verrieselt. Während des Verrieselns flutet Luft durch das Wasser/LCKW-Gemenge, wodurch die Kohlenwasserstoffe verdunsten (ausstrippen) und in Aktivkohlefiltern gebunden werden können. Nur noch bei einem weiteren der insgesamt 15 Berliner Wasserwerke, dem Charlottenburger Werk Jungfernheide, gibt es das aufwendige Reinigungsverfahren – bislang jedenfalls. Aufgrund der Schadstoffe im Grundwasser werden auch andere Wasserwerke entsprechend nachgerüstet werden müssen, prognostiziert Dieter Schulze, Chef der Bauabteilung bei den Wasserbetrieben. Konkret geplant ist eine weitere Reinigungsanlage im Wasserwerk Wuhlheide. Daß bessere Filter nottun, ist keine Frage: Mit der herkömmlichen Aufbereitungstechnik lassen sich nur die natürlichen Inhaltsstoffe Eisen und Mangan aus dem Grundwasser entfernen. An die sieben Prozent des Berliner Oberflächen- und Grundwassers sind bereits durch andere Umweltchemikalien akut verunreinigt, so Schulze. Rund 37 Prozent des verfügbaren Rohwasseraufkommens gelten darüber hinaus als potentiell gefährdet – im Ostteil sogar 54 Prozent. 30 Millionen Liter des geförderten Wassers müssen, da sie durch Altlasten schwer verseucht sind, jedes Jahr wieder in die Oberflächengewässer eingeleitet werden.
Wasserwerke in der Klemme
Abgesehen vom Johannisthaler Wasserwerk ist die Situation der Ostberliner Werke Wuhlheide und Altglienicke besonders kritisch. Verursacht durch die ehemalige Gaskokerei Rummelsburg, ein früheres Minol-Tanklager und andere Industriebetriebe ist das Wasser in Wuhlheide erheblich mit aromatischen Kohlenwasserstoffen verunreinigt. Wie in Wuhlheide mußten auch beim Wasserwerk Friedrichshagen, dem weitaus größten Ostberliner Werk, schon einige Brunnen stillgelegt werden. Problem ist hier die starke Ammoniakbelastung. Als Quelle der Altlast gilt das ehemalige Rieselfeld Münchehofe. Außerdem ist das Friedrichshagener Feld mittelbar durch Altlasten auf dem Gelände des Teerwerks und der Plasta-Fabrik in Erkner bedroht. Die Wasserbetriebe rechnen damit, daß über das Uferfiltrat der sogenannten Vorfluter Flakenfließ, Dämmeritz- und Müggelsee vor allem erhöhte Phenolfrachten zu den Brunnen gelangen.
Gleichfalls gefährdet ist das Grundwasserreservoir des Wasserwerks Stolpe, das trotz seiner Lage im Landkreis Oranienburg ans Berliner Versorgungsnetz angeschlossen ist. Auf den Wiesen am gegenüberliegenden Ufer der Havel hat das Stahlwerk Hennigsdorf früher Berge ölhaltiger Mineralschlacken abgelagert. Nun droht eine hochgradige Brunnenvergiftung durch Schwermetalle und Mineralöl-Kohlenwasserstoffe.
Damit nicht genug: Im Bereich der Brunnengalerien des Tegeler Wasserwerks wurden erhöhte Arsenwerte gemessen. In unmittelbarer Nähe des Wasserwerks Tiefwerder ist der Boden bis in eine Tiefe von knapp 100 Metern mit Mineralöl-Kohlenwasserstoffen verseucht. Die Altlast schlummert auf dem Grundstück eines Tanklagers am Spandauer Südhafen. Momentan wird gegen einen Betreiber des Tanklagers wegen schwerer Umweltgefährdung verhandelt.
Einziger Lichtblick: Im nördlichen Bereich des Werks Jungfernheide ist das Grundwasser jetzt spürbar weniger mit LCKWs verseucht. Deshalb konnten sieben von zehn stillgelegten Brunnen wieder in Betrieb genommen werden. Die Erklärung: Siemens steckte einen zweistelligen Millionenbetrag in die Sanierung des Bodens und die Reparatur von Abwasserkanälen. 1982 waren große Mengen an Lösungs- und Reinigungsmitteln aus den undichten Kanälen und einem Lager im Jungfernheider Siemens-Werk versickert. Schulze: „Das Beispiel Jungfernheide ist ganz instruktiv, um eine Zeitvorstellung zu bekommen, wie lange die Sanierung von Grundwasserschäden braucht. Es herrscht für meine Begriffe immer die irrige Meinung vor, wenn ich heute Altlasten an der Quelle saniere, dann habe ich schon morgen keine Sorgen mehr – das stimmt natürlich absolut nicht. Ich habe noch zehn bis zwanzig Jahre mit den durchs Wasser transportierten Schadstofffrachten zu tun.“ Der Siemens-Konzern ließ in Jungfernheide das kontaminierte Wasser abpumpen und Rohrleitungen neu verlegen. Die giftige Bodenluft wurde hydraulisch abgesaugt.
Sorgen bereiten jetzt neuerliche Verunreinigungen im westlichen Einzugsbereich des Wasserwerks, aufgrund derer man gezwungen war, erneut vier Brunnen abzuschalten. Die Herkunft der neuen Schmutzfrachten konnte noch nicht genau lokalisiert werden. Vermutete Verursacher im Ruhlebener Raum: die Papier- und Kartonfabrik BE-PAK und die Tierkörperbeseitigungsanstalt.
Verwaltung gegen neue Brunnen im Plänterwald
Beim Werk Johannisthal sind wegen der hohen Schadstoffbelastung 54 von 100 Brunnen abgeschaltet worden, womit sich die Kapazität des Werkes um über ein Drittel reduzierte. Außerdem laufen mehrere Brunnen seit längerem im sogenannten Abwehrbetrieb, darunter auch die drei, deren Wasser nun gereinigt und anschließend in den Britzer Zweigkanal eingeleitet wird. Statt Trinkwasser zu fördern, sollen die Abwehrbrunnen so bezeichnete Schadstoff-„Fahnen“ unmittelbar aus dem Grundwasser abziehen beziehungsweise dahin lenken, wo sie nicht mehr gefährlich sind. Ob die Schutzmaßnahmen ausreichen, steht dahin. Nicht auszuschließen ist, daß über kurz oder lang gar kein Wasser mehr in Johannisthal aus der Tiefe gewonnen werden kann, weil die Chemikalienfrachten überhand genommen haben. Wie berichtet, wird der volle Umfang der Grundwasserverseuchung derzeit ermittelt. Andere Umstände lassen die Zukunft von Johannisthal noch ungewisser erscheinen. Vorgesehen ist die Verbreiterung des Teltowkanals sowie der Bau einer Autobahn. Käme es zum Bau der Autobahntrasse entlang des Teltowkanals, würde ein 10 bis 15 Hektar großer Teil des Wassergewinnungsgebietes verlorengehen.
Mit dem Hinweis, ein Straßenbau in der engeren Schutzzone von Wasserwerken sei unzulässig, legten die Wasserbetriebe beim Verkehrssenator erst einmal Widerspruch gegen die Pläne ein. Vorsorglich wurde an die Umweltverwaltung der Wunsch herangetragen, im Plänterwald in Treptow neue Brunnen anzulegen. Beantragt wurde die Entnahme von 37.000 Kubikmetern Grundwasser pro Tag, sagte Bautechnikchef Schulze. Der Plänterwald ist offiziell als Wasservorranggebiet eingestuft. Gleichwohl lehnte die Verwaltung den Antrag ab. Verschiedene Umweltschutzbelange ständen einem neuen Wassereinzugsbereich im Plänterwald entgegen, erklärte der verantwortliche Leiter der Gewässeraufsicht, Klaus Melsheimer. Er sagt zu den Ablehnungsgründen: „Zum einen wäre der alte Eichenbestand im Plänterwald gefährdet, wenn dort intensiv Wasser gefördert wird. Außerdem befürchten wir eine Mobilisierung von Schadstoffen in der Nähe. Der Bezirk will den natürlich auch als Erholungsgebiet erhalten.“ Die Wasserbehörde, so Melsheimer, wolle noch einmal gutachterlich untersuchen lassen, wo es in der Innenstadt etwaige andere Wassergewinnungsgebiete gebe, die auch wirtschaftlich erschließbar wären.
Berlin drohen trockene Zeiten
Auf absehbare Zeit haben die Wasserwerke noch reichliche Kapazitätsreserven, wobei der gesunkene Pro-Kopf-Verbrauch der BerlinerInnen im Ostteil positiv zu Buche schlägt. Vergangenes Jahr mußten die Wasserwerke der Stadt pro Tag durchschnittlich 783.000 Kubikmeter Trinkwasser ins Rohrnetz pumpen, maximal 1.870.000 Kubikmeter hätten sie aus den Brunnen holen können. Der tagesdurchschnittliche Haushaltsverbrauch lag (wie 1991) bei 138 Litern. Mit Blick auf kommende Trockenzeiten ist das immer noch viel zuviel – es muß mehr gespart werden. Angesichts der potentiellen Gefährdungen des Oberflächen- und Grundwassers könnten spätestens im Jahr 2010 an die 100.000 Kubikmeter fehlen, so Dieter Schulze von den Wasserbetrieben. Hauptgefahr neben den Altlasten: Der Grundwasserspiegel ist auch durch zu starke Entnahmen dramatisch gesunken. Die natürliche Grundwasserneubildung aus Niederschlag und Uferfiltrat reicht längst nicht aus, um den Wasserverlust auszugleichen.
Vor diesem Hintergrund sei auch in Brandenburg beantragt worden, das Vorhaben eines Wasserwerks bei Neu Zittau, südöstlich der Stadtgrenze, weiterzubetreiben, und zwar als Gemeinschaftsprojekt zusammen mit der Märkischen Wasserversorgungs- GmbH. Schon zu DDR-Zeiten wollte man auf den Wiesen bei Neu Zittau Spreewasser zur Grundwasseranreicherung verrieseln. Zur Anreicherung des Grundwassers sollen außerdem die Stadtgüter- und Stadtforstflächen genutzt werden. Geplant ist, auf insgesamt 8.600 Hektar gereinigtes Abwasser- und Regenwasser zu versickern.
Anläßlich des massenhaften Fischsterbens im vergangenen Sommer hatte Umweltsenator Hassemer eine weitere Maßnahme angekündigt. Er wolle durch eine Vorschrift erreichen, daß Regenwasser künftig nicht mehr wie bisher überwiegend über die Kanalisation in die Flüsse und Seen gelange, sondern möglichst direkt über die Vegetation in den Boden versickert. Es sei jetzt „Schluß mit der rigiden Versiegelungspolitik“, sagte Hassemer. „Passiert ist seitdem jedoch nichts“, stellte Ex-Umweltsenator Klaus-Martin Groth in seinem Bodenschutz-Gutachten für die Fraktion der Grünen fest.
BUND warnt vor Bohrungen in die Tiefe
Daneben erkunden die Hydrologen der Umweltverwaltung, ob es möglich ist, Grundwasser aus tieferen Erdschichten zu gewinnen. Sie beabsichtigen, vorrangig den Untergrund rund um die Ostberliner Wasserwerke Friedrichshagen und Johannisthal zu untersuchen, sobald ein laufendes Bohrprogramm im Westteil der Stadt abgeschlossen ist. Bei den bisherigen Bohrungen in eine Tiefe von 250 Metern seien „relativ hochwertige Grundwasservorkommen“ entdeckt worden, erklärte der zuständige Verwaltungsmitarbeiter Jens Thierbach. Prinzipiell sei dieser Millionen Jahre alte Grundwasserschatz auch zu heben, doch gebe es dabei ein gravierendes Problem: „Geschieht ein Raubbau, zieht man Salzwasser mit hoch.“ Thierbach zufolge sind die geologischen Verhältnisse zwischen den Hochflächen des Barnim im Norden und des Teltow im Süden von Berlin ganz unterschiedich. Im Westteil der Stadt liege eine mächtige Tonschicht, die das Salzwasser von dem Süßwasser trenne, mal nur 30 Meter unter der Erdoberfläche (in Lübars), mal mehr als 500 Meter tief (im Spandauer Forst). Im Osten werde die Gewinnung von Grundwasser noch durch eine besondere Kalamität erschwert, so Thierbach. Eine in ungefähr 800 bis 1.000 Meter Tiefe liegende Muschelkalkschicht sei so verworfen, daß salziges Wasser hindurchdringe. Das Salzwasser könne dadurch viel leichter durch Lücken im Ton ins Süßwasser dringen. Der Hydrogeologe: „Infolge der Lücken in der Tonschicht liegt die Salz-/Süßwassergrenze, die sonst im Schnitt 200 bis 300 Meter tief ist, im Bereich von Friedrichshagen nur rund 30 Meter unter der Geländeoberkante.“ Die vorhandenen Brunnen reichen im Westteil meist in eine Tiefe von 60 bis 100 Metern, wohingegen das Wasser im Ostteil überwiegend nur aus einer Tiefe von 25 bis 30 Metern gefördert wird.
Wolfgang Goßel, Trinkwasser- Experte des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) warnte davor, bislang unerschlossene Grundwasserstöcke in einer teilweise noch größeren Tiefe anzuzapfen: „Da werden Ressourcen, die nicht regenerierbar sind, leergepumpt.“ Vorrangig sollten die vorhandenen Altlasten saniert und nicht neue in Form von Salzwassereinbrüchen geschaffen werden, forderte Goßel. Der BUND-Experte sah nur einen Baubedarf für sogenannte Infiltrationsbrunnen zur Wiedereinspeisung von gereinigtem Grundwasser. Dieses in die Oberflächengewässer zu pumpen, sei ein „vollkommen falscher Weg“, denn dadurch gehe wertvolles Trinkwasser verloren. Wahrscheinlich liege es nur an dem fehlenden Geld, daß die Wasserbetriebe keine Infiltrationsbrunnen bohrten.
Wird Berlin abwassertechnisch Sitzenbleiber?
In erster Linie muß dafür gesorgt werden, daß nicht noch mehr wassergefährdende Stoffe ins Grundwasser gelangen – unter anderem durch eine mangelhafte Kanalisation der Abwässer. Bis heute leiten Zehntausende von Siedlern rings um den Müggelsee, in Gatow und Kladow sowie im Norden von Berlin ihre Fäkalien und Reste von Haushaltschemikalien in Sickergruben. Im Ostteil liegen diese Siedlungsflächen überwiegend in Wasserschutzgebieten oder in den Einzugsberichen der Wasserwerke. Obwohl laut den Prognosen in den östlichen Stadtrandgebieten in den kommenden Jahren mit einem rapiden Bevölkerungswachstum zu rechnen ist, schleppt sich die entwässerungstechnische Erschließung hin. Geht es nach den Plänen der Wasserbetriebe, sind die letzten Siedler erst im Jahr 2005 an die Kanalisation angeschlossen. Der Landesbetrieb verweist auf die fehlenden Bau- und Planungskapazitäten. Dazu gebe es Schwierigkeiten beim Erwerb von Grundstücken für Abwasserpumpwerke. Sollten die Wasserbetriebe ihre „Hausaufgaben“ nicht bis 1997, spätestens aber bis zum Jahr 2000 erfüllen, habe Berlin in der Europäischen Gemeinschaft als „abwassertechnischer Sitzenbleiber“ zu gelten, schalt Umweltstaatssekretär Lutz Wicke. Die EG fordert Wicke zufolge von allen Kommunen mit über 15.000 Einwohnern, daß bis zum Jahr 2000 eine „Vollkanalisierung“ vorhanden ist.
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