: Wo bitte geht's nach Indien?
■ Weiter fachlich verklüngelt, Völker der Welt schmerzlich vermißt: Der 13. internationale Prix Futura beim SFB in Berlin, Abteilung Hörspiel/Feature
Schauplatz: das SFB-Funkhaus, Berlin. Rote Treppenaufgänge, gelbe Ballustraden. Gut sichtbar im Foyer: ein Counter, links und rechts die Fächer der Festival-BesucherInnen als minimalistisches Arrangement. Auftritt: eine bunte Menschenmasse, multikulturell, afrikanische Togas, europäische Eile. In der Mitte des tiefen Hauptraums teilt sich die Menge. Der größte und besonders bunt durchmischte Troß strömt nach rechts in die dunklen Gänge zur Fernsehecke. Einige weniger illustre Gestalten – unter die ich mich mische – huschen nach links, zwängen sich durch eine dicke Doppeltür. Das ist die Radiofraktion. Und weil es draußen schon dämmert, stehen die Zeichen auf Nachwuchs-Wettstreit. Denn in der Nacht, so will es das Gesetz des „Prix Futura“, sind die Kunstkatzen überhaupt nicht grau. Die Entdeckung von Nachwuchstalenten, die dieses Etikett auch wirklich verdienen, steht für die Spätschicht auf dem Programm. Schwenk also aufs Studio des BBC-Newcomers Award. Es spricht der irische Koordinator John Kelly, einer der 500 Delegierten, die die insgesamt 220 Produktionen aus 54 Ländern vorstellen und bewerten. Während Kelly mit der Aussprache einiger Jurorennamen kämpft, drängen Vereinzelte noch schnell mit schuldbewußter Miene auf ihre Plätze. Denn das hier ist ein erklärtes Arbeitsfestival, und im Umgang mit Kunst herrscht Disziplin!
Die Klangfunken sprühen nicht so recht
Kaffee oder Bierchen – die unverzichtbare Stärkung – halten sie in der leicht zitternden Hand. „Seid ihr alle da?“ Konzentrierte Stille legt sich über den Saal und die Schar der Insider. Das Band fährt ab, kritische Gesichter. Erfüllen die eingereichten Hörspiele die Hoffnung, die wir alle in bezug auf den Nachwuchs hegen? Neue Inhalte in gewagter Form unter die Leute zu bringen? Die BBC legt ausdrücklich Wert aufs Nichtangepaßte, hier darf nicht nur, hier soll ausprobiert werden. Die „Verdaulichkeit“ der Programme liegt endlich einmal nicht als Riesenstein im Weg der jungen MacherInnen. Alles Ungewöhnliche ist erlaubt und steht unter dem guten Stern des Futura-Mottos „Change“.
Spießiges Yuppie-Drama
Aber ach! Was gibt es zu hören? Statt zu demonstrieren, daß eine junge Generation von Klang- und Ideenfunken nur so sprüht, kehrt sich hier das diesjährige Wettbewerbsmotto „Wandel“ zur umgekehrten Unter-Wahrheit. Der Rückgriffreflex auf uralte Krisenthemen im Gewand der „Nummer sicher“-Form ist vielleicht erst in ferner Zukunft wirklich abgeschafft. Bis dahin wird im Hörspiel die ewige Beziehungskiste rappeln, Ödipus' Kummer nicht verjähren, werden Waffen klirren, der Mensch im Antlitz des Unerklärlichen klagen und die Kunstepigonen ihren Göttern virtual poetry darbringen. Das Wagnis einiger Radio-Youngsters schien sich nach Meinung eines Jury-Mitglieds (das nicht geoutet werden will) darauf zu beschränken, solch harmlose Arbeiten überhaupt erst einzureichen. Mystisch-Spießiges wie etwa das Yuppiedrama „Tarsus“ aus Australien zeigt eine Tendenz. In akustisch uninspirierter Manier verfolgt der Autor einen bösen Makler durchs heimatliche Farmland: ein neuer „Homo Faber“ in seinem Element. Doch plötzlich in Gestalt der deutschen Tramperin Angelika (!) begegnet ihm das Übersinnliche. Schon nach den ersten zehn Minuten steht die Message: Ökonomie zieht versus Moral den Kürzeren. Nach einigen platt-absurden Begegnungen mit Geistern, Teufeln und Menschenfressern verliert der Yuppie seinen Job, sein Auto und kehrt ein ins Reich der Mystik. Offenes Zimmertheater.
Ähnlich gutgemeint und brav ist das britische Hörspiel „Saddam's Arms“ des Briten Simon Beaufoy. Auch wenn der Titel Erwartungen weckt, sie zerfallen in Kürze zu Staub. Der Ausbruch des letzten Golfkrieges ist nicht anspruchsvolles Thema, sondern bestenfalls Klangtapete im miefigen Kleinfamilien-Ensemble, bestehend aus Mama, Papa, Söhnlein und der Geliebten. Nach einer kurzen Krise pendelt die „Keimzelle der Gesellschaft“ sich wieder ein. Es herrscht gezügelter Unmut im Kreise der „Radiorichter“. Saddams Waffen sind exemplarisch für die Tendenz, brisante Krisenherde zu eigenen, meist nur ästhetizistischen Zwecken auszuschlachten.
Auch „Monsoon“, eingereicht von der Britin Maya Chowdy, verfolgt die Selbstfindung einer jungen Engländerin in Indien als einem Reich der Sinne. Da plätschert das klare Wasser, die Berge Kaschmirs rufen, der Menstruationskalender ist immer bei der Hand. Und leider kann selbst die indische Abstammung der neunzehnjährigen Heldin das Hörstück nicht aus dem
leisen Verruf der „Ausbeutung“ retten. Das Land bleibt über lange Strecken ein akustischer Reiseprospekt, Folie zur Entdeckung einer oft klischeehaft eingekreisten weiblichen Identität.
Spot auf ein Mißverhältnis des Radio-Prix: Wo waren eigentlich die vielbeschworenen „Völker der Welt“, die doch aus erster Hand von sich erzählen könnten? Aus „gut informierten Kreisen“ wurde mir die ungeheure Produktivität – 5.000 pro Jahr – allein im Hörspielland Indien zugetragen. Vielleicht ist die eurozentrische Auslegung des Begriffes „international“ beim nächsten Prix endlich passé!
Durch und durch authentisch ist „Blueblanche, Tango, War“. Ein Stück der Kroatin Katja Šimunić. Vor dem Hintergrund ihres heimatlichen Desasters erfand sie ein Genre für ihre (im besten Sinne) subjektive Auseinandersetzung mit dem Thema Literatur und Krieg. Eine Art filmkritischer Radioessay über fiktionale Survival- Techniken im 20.Jahrhundert. Sprache enthüllt die Autorin oft als Waffe, so wie sie im kanadischen Linguistik-Thriller „1994“ als Virus auftritt.
Transformationen in der sibirischen Steppe
Eher kleingeschrieben wird Sprache dagegen in „Tunguska-guska“, der fast abstrakten Stimm-/Ton- Dichtung des Damentrios Grace Yoon, Sainkho Namchilak und Iris Disse. Dieses Hörstück ließ konventionelle formal-inhaltliche Normen erfrischend weit hinter sich: Transformationen in den Steppen Sibirens. Auch wenn die Produktion zeitweise hohe Konzentration abverlangt, hier offenbarte sich die langerwartete Deutungsmöglichkeit des diesjährigen Mottos als Wandel der Rezeptionsgewohnheit. Der gleiche Grund bescherte Radioartist Gregory Whitehead (USA) wohl auch den „Newcomers Award“. Sein Stück „Shake, Rattle and Roll“ ist ebenfalls eine Komposition, die alle Komponenten des Hörspiels freischwebend zu einem Kommentar über das Medium Radio verbindet. Höchster Kronzeuge seiner Methode ist James Joyces offener Roman „Finnegans Wake“, der mit „here comes everybody“ explizit in Erscheinung tritt.
Apropos: Wo war eigentlich Jedermann? Szenenwechsel und Zoom auf die Pressemappe: Einen Schritt raus aus der fachlichen Klüngelei des internationalen Prix hatte „Futura“-Chef Peter Leonhard Braun für dieses Mal versprochen. Doch das „normale Publikum“ hielt sich bedeckt. Schade, es hätte noch bunter werden können. Gaby Hartel
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