: Karlsruhe berät Awacs-Klage gegen Regierung
■ Union will Verfassungsrichter stoppen: FDP sei zur Klage nicht befugt/ SPD befürchtet den Beginn einer nicht mehr umkehrbaren Entwicklung
Berlin (taz/AFP) – Die „authentische Interpretation“ des Grundgesetzes erhofft sich der FDP-Fraktionschef Hermann- Otto Solms von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeswehreinsatz bei Awacs-Überwachungsflügen über Bosnien-Herzegowina. Der zweite Senat tagte seit gestern morgen in Karlsruhe über die Frage, ob die deutschen Soldaten aus den Awacs-Maschinen aussteigen müssen. Zunächst beschäftigte sich das Gericht mit der Frage, ob Vertreter der Bundesregierung als Beklagte sowie von FDP und SPD als Klägerin am Mittwoch zu einer mündlichen Verhandlung geladen werden sollen.
Die Hoffnung Solms wird von der Mehrheit der Bundesregierung nicht geteilt. Zwar war die Entscheidung, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, einvernehmlich von den Koalitionspartnern beschlossen worden, als klar wurde, daß man sich über die strittigen Einsätze nicht werde einigen können – die Union hält eine Verfassungsänderung für entbehrlich, die FDP für erforderlich.
Nun allerdings vertritt die Regierung in ihrer Stellungnahme zur Klage der FDP-Fraktion die Auffassung, daß diese überhaupt nicht klagebefugt sei, weil zwischen Regierung und FDP-Fraktion kein „verfassungsrechtliches Verhältnis“ bestehe. Darüber hinaus sei der Einsatz deutscher Soldaten mit „Buchstaben und Geist des Grundgesetzes vereinbar“. Mit ihrem Beschluß halte die Bundesregierung sich im Rahmen „völkerrechtlich vorgegebener Verträge“. Der Nato-Vertrag enthalte die ausdrückliche Pflicht zur Beachtung der UN-Satzung. Insbesondere Artikel 5 des Nato-Vertrages stelle klar, „daß sich den Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen untergeordnet“ werde. Weil demnach keine Änderung des Nato-Vertrages für die Durchsetzung des Flugverbotes über Bosnien notwendig sei, würden durch den Regierungsbeschluß auch keine Rechte der Fraktionen verletzt – eine notwendige Voraussetzung für deren Klagebefugnis.
Fazit: Die Bundesregierung sei „nach geltendem Verfassungsrecht das entscheidungsbefugte Organ“. Die Verfassung sehe weder ex- noch implizit vor, daß die Einsätze der Bundeswehr regelmäßig der Mitwirkung des Parlaments bedürfen. Und genau hier liegt das Problem: Hinsichtlich der fraglichen Einsätze der Bundeswehr ist das Grundgesetz lückenhaft. Und weil dem so ist, will die FDP eine „authentische Interpretation“ der höchsten Richter und die Mehrheit der Bundesregierung die Frage als politische verstanden wissen, zu der Richter nicht herangezogen werden dürfen.
Die SPD, die sich der FDP- Klage angeschlossen hat, begründete die Forderung nach einer einstweiligen Anordnung damit, daß durch den Einsatz der Soldaten ansonsten „nicht rückgängig zu machende Nachteile und irreparable Mißstände“ entstünden. Aus der Beteiligung an Militäraktionen „ohne Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Lage“ könnte etwa aufgrund des sogenannten Vertrauenstatbestandes die völkerrechtliche Verpflichtung entstehen, an weiteren Aktionen gleicher Art teilzunehmen. Zudem habe der Sicherheitsrat den Mitgliedsstaaten keinerlei Verpflichtung zur Durchführung militärischer Maßnahmen auferlegt. ja
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