Fahnenflucht geglückt

■ Totalverweigerer ging in Berufung

Tiergarten. Ein hörbares Aufatmen ging gestern durch die Besucherbank des Landgerichts Tiergarten, nachdem Richter Leschonski das Urteil für Totalverweigerer Sascha W. verkündet hatte. „Nur noch“ ein Bußgeld von 600 Mark muß der 21jährige zahlen, der im September 1992 vor dem Amtsgericht zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten und der Zahlung von 600 Mark verurteilt worden war, weil er nicht nur den Wehrdienst, sondern auch den Zivildienst verweigerte. W. hatte wegen der Höhe der Strafe ein Berufungsverfahren angestrengt.

In der Verhandlung legte W. gestern dar, wie er in seiner Kindheit in der Garnison des DDR-Verteidigungsministeriums früh eine „Uniformphobie“ entwickelte, was dadurch verstärkt wurde, daß sein Vater in seiner Funktion als Militärstaatsanwalt auch Kriegsdienstverweigerer verurteilte. Die Maueröffnung schließlich empfand er als gleichbedeutend mit seiner Nichteinberufung. Er hoffte, in einem Land ohne Wehrpflicht leben zu können.

Wenig später begann die groteske Geschichte von W.s Begegnung mit dem Wehramt: Noch vor seiner Musterung entschloß sich der 21jährige, den Kriegsdienst total zu verweigern, und teilte dies dem zuständigen Amt mit. In der Musterung wurde er mit „drei“ eingestuft, was bedeutete, daß er untauglich war. Diese Tatsache hielt das Amtsgericht damals allerdings nicht davon ab, W. eine im Vergleich zu den Urteilen ähnlicher Verfahren vergleichsweise hohe Strafe aufzuerlegen.

Der Angeklagte begründete seine Handlung mit dem Hinweis auf die freie Gewissensentscheidung: Der Dienst bei der Bundeswehr bedeute die Vorbereitung für den Kriegsfall. Der Zivildienst stelle für ihn aber keine Alternative dar, weil er im Ernstfall „die Soldaten an der Heimatfront wieder zusammenzuflicken und also doch wieder Kriegsdienst zu leisten“ habe.

Das Strafmaß fiel wegen der Anwendung des Jugendstrafrechts nun deutlich niedriger aus. Das Bußgeld von 600 Mark muß Wahl nun ans „Friedenszentrum Martin- Niemöller-Haus“ überweisen. jwe