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Handgreiflichkeiten inbegriffen

■ Eine hübsche Provokation: Friederike Kretzens Roman „Ihr blöden Weiber“

Es ist immer alles so schnell gegangen. Noch einmal sind die drei alten Schwestern zum Familientreffen verabredet, das Sophie, die Mittlere, vorbereitet hat. Sie, die ewig zu kurz Gekommene, hat das heimatliche Dorf niemals verlassen, und sie war es auch, die die Eltern zu Tode gepflegt hat. Keine Zeit für die Liebe. Dabei hätte Sophie bestimmt nicht nein gesagt. Louise kommt angereist, die Jüngste, mit einem bis zur Tyrannei überspannten Willen. Sie sieht nur noch, was sie will. Mit ihren fast blinden Augen, die sie selbst „Frau Schwarz“ nennt, hält sie heimlich Zwiesprache. Louise lebt in der Enklave ihrer Phantasie. Maritta schließlich, die Älteste, leidenschaftlich Reisende, wird nicht ankommen – und will es wohl auch nicht.

In „Ihr blöden Weiber“ präsentiert Friederike Kretzen die Leben dreier uralter Schwestern, die – wie auf einer Bühne – eine nach der anderen ihren Auftritt haben. Kretzens Frauenfiguren führen ein Leben neben dem Leben. Was den hämischen Titel angeht: Die „blöden Weiber“, das sind drei Schwestern, alt und nichtsnutzig. Louise und Sophie streiten sich kratzbürstig und zickig über das, was sie schon als Kinder aneinandergeraten ließ – ein Leben in verteilten Rollen; Handgreiflichkeiten inbegriffen.

Kretzens Roman ist ein Buch über das Alter und den Tod. Und über das richtige Ende. Im falschen Leben kann es nämlich kein richtiges Ende geben. Und so gelingt es Louise auch nicht, für ihre Zimmergenossin im Altenheim die Vorabendserien zu Ende zu erzählen. Sie erfindet Geschichten mit bösartigen Helden in apokalyptischer Szenerie. Dr. Kimble, der seine Frau ermordet, ist ihre kaltblütige Schreckensvision des Serienarztes aus dem TV.

Der Roman ist eine hübsche Provokation. Die Männer sind abwesend, aber fies tief in die Hirne der Frauen gebrannt. Louise kultiviert eine gewalttätige sexuelle Phantasie, in der sie potenten Flußpiraten den Schwanz hält. Und die alte Sophie träumt von einem Bräutigam, „der ihr's besorgen kann.“ Kretzen karikiert ihre „Frauen ohne Männer“; sie erzählt ohne verhaltene Larmoyanz, wenn die Schwestern am Ende auch Betrogene bleiben. Louise resümiert: „Das sind die Früchte des Alters; Männerwracks. Und wir Frauen spielen unermüdlich Herzkirsche und Schokoladenseite.“ Aber nur für die Burschen.

Frauen unter sich sind voller Eifersucht und Ressentiment, da verjährt nichts. Noch nach Jahrzehnten versuchen sie, sich die falschen Zähne einzuschlagen. Cousine Belli, schon krebskrank, muß heftig Federn lassen, als Louise heißersehnte Rache übt, weil Belli früher mal mit Ehemann Edgar ein Stelldichein hatte. Das würdige Altwerden haben die Schwestern nie gelernt. Gemein halten sie sich den Spiegel vor: „Laß dir mal den Arsch liften“, sagt Louise zu Sophie. Nach einem kontrollierten Leben im katholischen Glauben stirbt Sophie im eigenen Unrat. Ein mißlungener Koitus mit Bruno, dem Kanalhund, und dann ab in den Himmel: „Laß liegen, der Hundeatem an Ohren und Arsch, fliegt, hin und her, ne kleine Nummer wie die. Von wegen. Der paßt nicht rein, die ist groß und weit, enthaltsam von innen und von außen. Du randlose Größe, du Maßlos, da läßt sich gar nichts spüren, nur verrinnen, verlieren, Tröpfchen für Tröpfchen, mit blauen Lippen mittlerweile, da muß die Zunge ran, die Zunge, beweg dich.“ Louise bleibt allein zurück und kocht phantastische Gerichte für Bataillone von starken hungrigen Männern. Und Maritta, die nicht mehr nach Hause zurückfindet, hofft derweil auf die Vollinvalidenkarte, um doch noch zu den Schwestern zu gelangen.

Einzig die von Louise ausgedachte Geschichte der drei Schlangen Slimmy, Fetti und Herzchen hat einen guten Ausgang: „Sie lebten zusammen und stritten sich über alles. Eines Tages war Fetti in der Küche – o nein, nicht, nein, nein, doch es half nichts, am Ende war alles Essen verschwunden. Herzchen und Slimmy hatten es sich im Wohnzimmer bequem gemacht, Fetti ging also zu ihnen und gestand. An diesem Tag erzählten ihr die beiden, daß sie den Plan hätten, einen Supermarkt zu kaufen. Doch wohl hoffentlich einen vollen? Na klar. Dann taten sie es, und für den Rest des Lebens reichte es immerdar.“ Aber das bleibt ein Märchenende. Petra Lüschow

Friederike Kretzen: „Ihr blöden Weiber“, Nagel & Kimche, 160 Seiten, 32,80 DM

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