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Malis „Studenten“ brandschatzen ihren Staat

■ Regierungsgebäude bei Unruhen verwüstet/ Schatten der Diktatur holt Mali ein

Berlin (taz) – Der Präsident des bitterarmen Sahel- Staates Mali, Alpha Oumar Konare, steht vor einem Scherbenhaufen – im wörtlichen Sinne. Demonstranten haben am Montag Regierungsgebäude gestürmt und zum Teil angezündet. Opfer der Unruhen wurde ein Flügel des Parlamentsgebäudes, die Parteizentrale der regierenden ADEMA und einer weiteren Partei, einige Ministerien, die Privathäuser des Präsidenten und mehrerer Minister sowie die Gebäude der Kulturkooperative, wo Konare vor seinem Aufstieg zum Staatschef tätig war.

Wer steckt hinter diesem beispiellosen Gewaltausbruch, der Malis junger Demokratie den Boden unter den Füßen wegzuziehen droht? Erst zwei Jahre ist es her, daß ein von der städtischen Jugend getragener Volksaufstand die Militärdiktatur von Präsident Moussa Traore stürzte. Erst vor einem Jahr fanden die ersten freien Wahlen in der Geschichte Malis statt, aus denen der intellektuelle Regimegegner Konare als Sieger hervorging. Und erst vor weniger als zwei Monaten ging ein Prozeß gegen das „alte Regime“ zu Ende, auf dem Ex-Diktator Traore zusammen mit mehreren seiner Minister zum Tode verurteilt wurde.

Die Revolution von 1991 nährte sich aus der fortwährenden Niederschlagung von Protestmärschen, angeführt vom „Malischen Schüler- und Studentenbund“ (AEEM), der vor allem jenen Teil der Jugend vertrat, der jedes Jahr im Januar, wenn auf dem Land die Ernte zu Ende geht, in die Städte zieht und Arbeit und Ausbildung sucht. Mit dem Sturz der Diktatur hatte sich die radikale Protesthaltung der Jugend ausgezahlt, und die neuen Machthaber haben sie nicht bändigen können. So hat Konare seit seinem Amtsantritt immer wieder Demonstrationen erlebt: Händler forderten die Abschaffung der Mehrwertsteuer, Arbeiter wollten höhere Löhne, und Studenten klagten ihre Stipendien ein.

Damit wuchsen soziale Spannungen, insbesondere in der traditionell unruhigen Wanderzeit des Frühjahrs. Vor wenigen Wochen steckten Studenten das Gouverneursgebäude von Segou, zweitgrößte Stadt Malis, in Brand. Erst im Februar hatten sie die Regierung dazu gebracht, die eigentlich für die Regionalverwaltung von Segou bestimmten Gelder an sie auszuzahlen – was den Rest der Einwohner verärgerte. Mali ist ein armes Land; das Hauptexportprodukt Baumwolle bringt kaum noch Geld ein, seitdem Billigware aus Zentralasien den Weltmarkt überschwemmt. Für ein Kilo Baumwolle, das der Staat für 400 CFA- Francs (DM 2,50) von den Bauern kauft, sind auf dem Weltmarkt nur 280 CFA-Francs zu kriegen; in der Staatskasse klaffen daher immer größere Löcher.

Präsident Konare hat immer wieder versichert, er werde keine Gewalt gegen Demonstranten anwenden – um keinen Preis will er eines Tages als Bluthund dastehen wie Ex-Diktator Moussa Traore, der die Massenproteste gegen ihn erfolglos zusammenschießen ließ. Dieses „1991er Syndrom“, wie es ein Präsidentenberater nennt, schwächt die Regierung gegenüber der Studentenorganisation AEEM, aber auch gegenüber jenen Kräften des „alten Regimes“, die ihre Haut retten wollen, wenn Traore in den nächsten Monaten erneut vor Gericht erscheint, um sich wegen „Wirtschaftsverbrechen“ – sprich: Korruption – verantworten zu müssen.

Die Kräfte des „alten Regimes“ wollen ihre Haut retten

Regierungsanhänger sprechen inzwischen von offener Zusammenarbeit zwischen den Traore-Mitstreitern und radikaldemokratischen Kritikern Konares – wie die aus dem Widerstand gegen die Militärs hervorgegangene Oppositionspartei CNID, deren Präsident Mountaga Tall eine „Einengung der demokratischen Freiheiten“ beklagt. Die Führung des Studentenverbandes AEEM wurde auf einem Kongreß letzte Woche von Gegnern der Regierung übernommen, von denen einer erklärt haben soll: „Wir haben Moussa die Haut abgezogen, jetzt ist Konare dran.“

Als dann der AEEM vorgestern wieder eine „Studentendemonstration“ organisierte, waren nach allgemeiner Einschätzung nicht nur Studenten auf der Straße. Und zu ihren Angriffszielen gehörten nicht nur Regierungsgebäude mit Symbolkraft, sondern auch die unscheinbaren Ministerien für Industrie und Energie sowie für Wirtschaft – wobei viele Unterlagen aus den Zeiten der Diktatur, die beim bevorstehenden Korruptionsprozeß gegen Traore als belastendes Material hätten dienen können, in Flammen aufgingen. „Das waren keine Studenten“, meint eine Rundfunkjournalistin. „Das waren ganz andere Elemente, die von dem Durcheinander profitieren wollten.“

Die Regierung ist sich der Brisanz der Lage bewußt. Premierminister Younoussi Toure forderte am Montag nachmittag die Bevölkerung auf, keine „Rachespirale“ in Gang zu setzen, und kündigte die Schließung der Schulen an. In der Nacht zum Dienstag nahmen Sicherheitskräfte in Bamako massive Verhaftungen vor. Zu neuen Demonstrationen kam es gestern nicht. Dominic Johnson

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