: Um schlechte Manieren wird gebeten
■ Kino gegen die Opfermentalität: Die Hamburger Regisseurin Monika Treut hat mit ihrem Film 'Female Misbehaviour– vier extra-ordinären Frauen ein Denkmal gesetzt
hat mit
ihrem Film Female Misbehaviour vier extra-ordinären Frauen ein Denkmal gesetzt
Lustvoll räkelt sich die Dame in Rot auf der Bühne. Sie spielt mit ihren Brüsten, öffnet die Beine und gewährt dem kreischenden Publikum via Spekulum Einblick in ihre gynäkologischen Eingeweide. Die Dame heißt Annie Sprinkle, Hamburgern und Hamburgerinnen noch bestens aus ihrem Gastspiel im Schmidt's bekannt, und sie nennt ihre Show humorvoll Post Porn Modernist.
Doch hier geht es nicht um Pornographie, sondern um das Zurschaustellen weiblichen Selbstbewußtseins. Diese Szene findet - wie sollte es anders sein - in einem neu veröffentlichten Film der Hamburg- New Yorker Filmemacherin Monika Treut statt. Female Misbehavior, so
1der programmatische Titel, ist ein Zusammenschnitt von vier Frauenporträts, die im Laufe von zehn Jahren in den USA entstanden sind.
Es sind Frauen, die ihre sexuellen Vorlieben stolz zum Lebensprinzip erhoben haben.
Im ersten Kurzfilm, Bondage, erklärt Carol, eine lesbische Sadomasochistin, die von ihr bevorzugten Praktiken. Kamerafrau Elfie Mikesch, die auch in Max die Bilder eingefangen hat und die die Karriere der Monika Treut maßgeblich beeinflußt hat, fährt über den gefesselten Körper, ohne einen pornographischen Blick zu enthüllen.
Sado-Masochismus wird als ästhetisches Moment vorgeführt, als stinknormale Form der weiblichen
1Sexualität. Bei seiner Uraufführung, 1983, stieß der Film auch in Frauenkreisen auf Unverständnis, da er so wenig mit gängigen Frauenbildern auch in Feministinnenkreisen übereinstimmte. Carol ließ sich davon nicht beirren. O-Ton: „Niemand hat das Recht zu zensieren, was ich in meinem Schlafzimmer machen.“
Max Valerio war einmal Anita Valerio. Sie wurde in Heidelberg als Tochter eines GI-Soldaten geboren und lebt nun als Transsexueller in San Franzisko. Weil sie sich in ihrem weiblichen Körper nicht wohlfühlen konnte, entschloß sie sich zur Geschlechtsumwandlung, aus der Lesbe wurde ein hetero-se- xueller Mann, der in Female Misbe-
1haviour von männlichen und weiblichen Körpern erzählt.
Und schließlich darf sich die umstrittene amerikanische Literaturwissenschaftlerin Camille Paglia als nervtötende Plaudertasche exhibitionieren. Mit ihrem Werk Masken der Sexualität stieg sie auch in Deutschland zu von Skandalen begleitetem Ruhm auf.
Böse, treffend und aggressiv kritisiert sie den verstockten Moralbegriff der postmodernen Feministinnen, um gleichzeitig ein konservatives Frauenbild neu zu propagieren. Doch wie dem auch sei: Dr. Paglia, so auch der Titel des Kurzfilms, lebt als selbstbewußte Einzelgängerin, immer auf dem Weg gegen den Strom. Sie betreibt - ganz unfeminin - Provokation um der Provokation willen.
Daß eine deutsche Filmemacherin Frauen wie Sprinkle oder Paglia porträtiert, ist ungewohnt, Monika Treuts Begründung für ihre The-
1menwahl kann man allerdings nur allzu gut verstehen. Sie dreht ihre Filme „aus Verzweiflung über deutsche Feministinnen“. Gegen deren trockene Doktrin und Opfermentalität setzt sie das Leben ihrer Filmprotagonistinnen: schrill, lustvoll
1und mutig. Und, das Rezept geht auf: Der Film stiftet dazu an, sich gründlich daneben zu benehmen - eben zu Female Misbehavior. Renate Kemper
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