■ Im Kino wiederentdeckt:: Bunuels Lieblingsfilm
Im Kino wiederentdeckt:
Bunuels Lieblingsfilm
hier die 1001 Nacht
unten schneiden
In der wüsten Landschaft der Sierra Morena wacht Hauptmann van Worden unter einem Galgen auf, an dem zwei Banditen baumeln. Wenig später ziehen ihn mauretanische Prinzessinen in ihr Bett, Inquisitoren drohen ihm mit Folterwerkzeugen, und jeder hat eine Geschichte zu erzählen: von Gespenstern, Dämonen, Narren, gehörnten Ehemännern oder sich duellierenden Edelmännern. Aber immer wieder kommt er in die gleiche Situation: die schönen Muselmaninnen bieten ihm Wein aus einem zum Kelch umfunktionierten Totenkopf an, er trinkt — und wacht unter dem Galgen mit den beiden Gehenkten wieder auf.
Wie der etwas tumbe Hauptmann findet sich der Zuschauer in einem Labyrinth aus kunstvoll verschachtelten Geschichten wieder, die sich überkreuzen oder kommentieren: Zwei Soldaten lesen vom Abenteuer des Hauptmanns, in dem ein Räuber davon erzählt, wie dieser am Krankenbett eines Freundes dessen Leidensgeschichte hört, in der wiederum ... Im Stil von „1001 Nacht“ oder des „Decamerone“ ist die Rahmenhandlung ein Vorwand, um phantastische, gruselige und amouröse Geschichten aneinanderzureihen. Und da stört es auch nicht, weiter, wenn Zbigniew Cybulski
als Hauptmann Alfons von Worden nur einen recht blassen Helden abgibt, oder wenn die Schlußauflösung nach etwa drei Stunden schönstem phantastischen Kinos etwas aufgesetzt wirkt.
Nur dieses eine Mal hat Regisseur Wojciech Has den Fehler begangen, sich zu weit von der Romanvorlage zu entfernen. Sonst hat er den ironischen Grundton, die Sinnlichkeit und das Pittoreske des Romans von Jan Potocki genau getroffen. Viele Einstellungen wirken, als wären sie den Caprichos von Goya (die die deutsche Ausgabe des Romans illustrieren) nachempfunden, und bei jeder auch nur halbwegs passenden Gelegenheit läßt uns Has in tiefe Dekolletes oder hochgerutschte Kleider blicken. Fast so phantastisch wie die Geschichten scheint es, daß 1964 in Polen solch ein verschwenderischer und freisinniger Film gedreht werden konnte. In seinen Erinnerungen „Mein letzter Seufzer“ nannte Luis Bunuel das Buch und den Film in seiner Liste der Dinge, die er sehr mochte, direkt neben Fritz Lang, Buster Keaton und den Marx Brothers. Ein größeres Kompliment gibt es kaum. Wilfried Hippen
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