: Herberger lügt!
■ Borussia Dortmund schlägt AJ Auxerre im Hinspiel des UEFA-Cup-Halbfinals mit 2:0
Aus Dortmund Thomas Lötz
Der Pokal hat seine eigenen Gesetze, klingt es uns aus Fernseher und Zeitungsspalte immer wieder entgegen. Doch wenn es sich dann um einen europäischen Pokal handelt, wird die Sprache der Fußballwelt gleich um ein vielfaches konkreter. Denn dann gilt vor dem Hinspiel im eigenen Stadion nur noch ein einziges Gesetz: Gewinnen, ohne Gegentor, am besten mit 2:0. So einfach ist das. Schwieriger und ungenauer wird es, wenn man, nach größerer Gewißheit verlangend, sich weiteren Weisheiten unterwirft, denen von Sepp Herberger beispielsweise. Der hat uns nicht nur den Geist von Spiez hinterlassen, sondern leider auch etliche einfältige Unwahrheiten. „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“, hat er behauptet. Und daß diese schlechte Imitation einer Tautologie ein großer Irrglaube ist, das belegte das Halbfinalhinspiel im UEFA-Cup zwischen Borussia Dortmund und AJ Auxerre.
Vor dem Spiel hatte der BVB nämlich allergrößten Grund zur Sorge, nachher waren sowohl Grund als auch Sorge den meisten einerlei. Ohne sieben verletzte Spieler sollte der BVB sein Heimspiel – wir erinnern uns – mit 2:0 gewinnen. Die Abwehr bekam Trainer Ottmar Hitzfeld so gerade noch zusammen, das Mittelfeld stellte sich von alleine auf, nur im Sturm sah es wirklich bitter aus. Mit Stephane Chapuisat stand gerade mal ein Stürmer zur Verfügung, der zudem mit dem sicherlich schmerzhaften, wohl eher aber psychologischen Hemmnis eines Beckenschiefstandes zurechtkommen mußte. Zwar hatte Hitzfeld, weil zum Gewinnen das Angreifen gehört, als zweite Spitze René Tretschok nominiert, doch der hatte in dieser Saison noch kein einziges Spiel absolviert, und die Kräfte verließen ihn schon zur Halbzeit.
Bis dahin hatte Borussia sich ein Eckenverhältnis von 9:3 mehr erkämpft als erspielt. Den zehn großen Chancen der Dortmunder stand keine einzige der Franzosen gegenüber, und dennoch hieß es 0:0. Auxerre zog sich nach zaghaften Versuchen eines Pressings mit allen Spielern in die eigene Hälfte zurück, vom vielgelobten Offensivspiel mit zwei echten Außenstürmern war nichts zu sehen. Der BVB drückte, ausgehend von der Übersicht des Liberos Ned Zelic, über das nicht immer sichere zentrale Mittelfeldspiel von Michael Rummenigge, vor allem aber über links, über den in erstaunlicher Form befindlichen Gerhard Poschner. Wenn die kompakte burgundische Abwehr jedoch überlastet wurde, kam irgendein Dortmunder immer zu spät oder Torwart Bruno Martini mit der Hand dazwischen.
Nach einer Stunde dann hatte der für Tretschock eingewechselte Steffen Karl genug. Aus 18 Metern hielt er darauf und erwischte dabei Auxerres herausstürzenden Libero Frank Verlaat so glücklich, daß Martini gegen den abgefälschten Ball machtlos war. 20 Minuten später, als Manndecker William Prunier den Ball spielte und Chapuisat ein Foulspiel simulierte, pfiff der belgische Schiedsrichter Elfmeter. Michael „Susi“ Zorc lief an, und Martini hielt. Der ansonsten sichere Schütze konnte es nicht fassen. Trotz der Unterstützung durch die Südtribüne brauchte „Susi“ einige Zeit zur Regeneration, doch dann flog der Kapitän in einen von Poschner getretenen Eckball hinein, und der wuchtige Kopfball zischte zum 2:0 ins Netz.
Das Ergebnis hatte also die gesetzlich vorgeschriebene Höhe erreicht. Nichts war mehr wie vor dem Spiel, die bestandene Angst aller schwarz-gelben Anhänger war dem Respekt gewichen. Dem Respekt vor einer wirklich großen Leistung der Rumpfelf von Borussia Dortmund. Dem Respekt vor der Leistung eines jeden einzelnen Spielers, insbesondere aber vor der von Michael Zorc, der das Spiel schon verloren hatte, um es schließlich doch noch zu gewinnen. Aus den vagen Hoffnungen, die das letzte BVB-Aufgebot vor dem Spiel begleitet hatten, war ein Sieg geworden. Das Finale war eigentlich schon erreicht: „Turin, Turin – Wir fahren nach Turin!“
Nur einer wollte noch nicht so recht. Trainer Hitzfeld war zwar „sehr glücklich“, weil das Ergebnis „eine gute Ausgangsbasis“ sei. Man habe 2:0 gewonnen, sich aber eben noch nicht für das Endspiel qualifiziert, denn die Auseinandersetzung in Auxerre werde viel schwieriger als die gerade beendete. Was der eine sich nicht auszusprechen traute, sagte ein anderer. Louis van Gaal, anwesender Trainer von Ajax Amsterdam und mit seiner Mannschaft in der vorangegangenen Runde Opfer burgundischer Heimstärke geworden (2:4), antwortete auf die Frage, ob im Rückspiel nicht ein völlig entfesselnd aufspielendes Auxerre zu erwarten sei, einfach nur: „Die können nicht viel besser als heute. Zu Hause müssen sie kommen, dann steht die Abwehr nicht mehr so kompakt wie heute. Und dann kommt Chapuisat.“
AJ Auxerre: Martini - Verlaat - Prunier - Goma, Dutuel, Guerreiro, Martins, Mazzolini - Cocard, Baricle, Vahirua
Zuschauer: 35.800 (ausverkauft); Tore: 1:0 Karl (59.), 2:0 Zorc (88.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen