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Eine Außenseiter-Parabel

■ "Der Störenfried" - Dokumentarfilm über Pfarrer Brüsewitz von Thomas Frickel

Stasi-Chef Erich Mielke soll einmal in einer hausinternen Rede die vier größten Staatsfeinde der DDR beim Namen genannt haben: Robert Havemann, Wolf Biermann, Rudolf Bahro und Oskar Brüsewitz. Brüsewitz? Dieser evangelische Pfarrer, der sich am 18. August 1976 in Zeitz in der sächsischen Provinz selbst verbrannte, will nicht so recht in Mielkes Aufzählung passen. Denn Brüsewitz erreichte, außer bei seiner spektakulären Schlußtat, niemals einen besonderen Bekanntheitsgrad über den Heimatkreis hinaus. Doch wer Thomas Frickels „Ermittlungen zu Oskar Brüsewitz“ (so der Untertitel seines Dokumentarfilms) gesehen hat, dem erscheint die unfreiwillige posthume „Ehrung“ durch Mielke gar nicht mal so unverständlich. Brüsewitz war in seiner religiös motivierten Opposition irritierend konsequent, ein Streiter, der gewiß auch heute ein unbequemer Zeitgenosse geblieben wäre. Für Thomas Frickel ist das keine „typische DDR-Geschichte“, vielmehr eine „Parabel für das Verhalten gegenüber Außenseitern“, ein „Film über den aufrechten Gang“. Tatsächlich suchte der westdeutsche Regisseur nicht nach Schuldigen, hier wollte kein „Besserwessi“ seinen Brüdern und Schwestern im Osten mal eben den Lauf ihrer Geschichte erklären.

Frickel bringt allein die Zeitzeugen zum Sprechen und blendet nicht einmal die Namen ein. Dennoch fällt die Orientierung leicht: Schnell wird klar, daß nicht nur die SED-Parteiführung ihre liebe Not mit dem sonderbaren Pfarrer hatte, sondern auch Freunde und selbst seine Familienangehörigen, denen er dieselbe religiöse Konsequenz abverlangte wie sich selbst. Frickel läßt wichtige Stationen im christlichen Streiten des renitenten Christenmanns wiederaufleben: „Ich muß noch die Front stürmen“, heißt es in einem von Brüsewitz' Briefen. „Der Atheist hat hier keine Chance.“ Also montierte er an seinen Kirchturm ein großes leuchtendes Kreuz, das weit übers Land zu sehen war.

Und wenn die Partei für den gesamten Arbeiter-und-Bauernstaat die Losung ausgab: „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein“, war Pfarrer Brüsewitz mit selbstgebastelten Plakaten unterwegs, auf denen er verkündete: „Ohne Regen, ohne Gott, geht die ganze Welt bankrott.“ Die örtlichen Parteifunktionäre hatten dafür jedoch wenig übrig und forderten den umtriebigen Gottesmann auf, nach drüben, in den Westen, zu gehen. Am Ende wollte ihn auch seine Kirche versetzen. Hier drängt sich natürlich ein Motiv für Brüsewitz' verzweifelte Tat auf, doch Frickel kommt nicht als Enthüllungsjournalist daher. Er beschränkt sich auf die nachdenklichen Worte des Kirchenmannes, der den renitenten Pfarrer zur Einwilligung in die Versetzung überreden sollte.

Der Autor bleibt bis zum Ende wohltuend konsequent: Weder schildert er den Konflikt zwischen Opportunismus und Opposition mit anklagend erhobenem Zeigefinger, noch benutzt er das spektakuläre und tragische Ende zu einer unnötigen Dramatisierung. Der mehrfach ausgezeichnete Film läuft bereits seit einiger Zeit auch in Programmkinos der neuen Bundesländer. Thomas Gehringer

9. April: West 3, 20.15 Uhr; MDR 3, SFB: 17.20 Uhr; Bayern 3: 11.45 Uhr, und am 12. April, N 3, 22.30 Uhr

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