piwik no script img

Paß auf, mit wem du ins Bett gehst

Ein Gespräch mit Willem Dafoe, Madonnas Anwalt in „Body of Evidence“  ■ Von Christiane Peitz

Oliver Stone hat Ihr Gesicht einmal als gotisch charakterisiert, Kritiker nennen es ein flämisches Gesicht, ein Cranach-der-Ältere- Gesicht. Andererseits heißt es immer wieder: Dafoe, das Chamäleon. Welche Beschreibung ziehen Sie vor?

Ich mag beide. Beide sind schmeichelhaft. Ich bin auch als unwiderstehlich häßlich bezeichnet worden (lacht). Ich weiß oft nicht, was ich von diesen Beschreibungen halten soll.

Es ist manchmal schwer, Sie auf der Leinwand wiederzuerkennen. Als Jesus in Scorseses „Last Temptation“ tragen Sie langes, fast blondes Haar und einen Bart; als Anwalt in „Mississippi Burning“ diese Akademiker-Brille, als Bobby Peru in David Lynchs „Wild at heart“ die berühmten häßlichen Stummelzähne. Wie wichtig sind Ihnen beim Spielen die Accessoires?

Sie sind das Entscheidende. Zunächst ist es einfach eine Maske. Eine Maske befreit und erlaubt einem vieles, was sonst nicht möglich wäre. Manche Masken sind schwer, manche leicht zu tragen. In Paul Schraders „Light Sleeper“ zum Beispiel (Dafoe spielt darin einen Drogendealer/chp) trage ich praktisch keine Maske. Ich mag den Film sehr gern. Das bin ich. Aber ich gebe zu, ich bin es gewöhnt, eine Maske zu tragen. Viele sagen, das Schöne an der Schauspielerei sei, daß man in anderer Leute Schuhe spazierengehen kann.

Was ich schon immer wissen wollte: Wie war das in „Wild at heart“ mit den häßlichen Zähnen von Bobby Peru?

Lynch ließ mir nicht einfach die Zähne bemalen, wie ich zunächst angenommen hatte, sondern schickte mich zum Zahnarzt und ich bekam ein Gebiß verpaßt. Ich brauchte es nur anzuziehen, und es war alles, was Bobby Peru ausmachte. Abstoßend und großspurig: Das Gebiß ist Bobby Peru. Es war Lynchs Genie, mir etwas zu verpassen, was mich einschränkt.

In „Body of Evidence“ sehen Sie ziemlich normal aus. Frank Dulaney, ein Anwalt in Anzug und Krawatte, ein Gentleman, nette Ehefrau, netter Sohn...

Es ist trotzdem noch ein bißchen Maske dabei, weniger eine körperliche als eine mentale. Frank identifiziert sich so sehr mit seinem Beruf, daß man ihn fast die ganz Zeit nur in seiner Eigenschaft als Jurist sieht.

Sie haben oft die Bösen gespielt, den Gang-Leader in schwarzen Lederklamotten, Gangster, Cop- Killer, Drogendealer, Boxer, Psychopathen etc. Andererseits spielten Sie bei Scorsese Jesus persönlich; Bobby Peru war dann wieder das genaue Gegenteil, die Inkarnation des Bösen. Ist Frank so etwas wie eine logische Folge, eine Bilanz Ihrer bisherigen Charaktere?

Die Geschichte meiner Rollen haben die Kritiker erfunden. Ich habe mir darüber nur wenige Gedanken gemacht. Ein Teil dessen, was Sie da aufzählen, hat erst einmal mit der natürlichen Entwicklung eines Schauspielers zu tun, der älter wird. Wenn man jung und nicht sonderlich hübsch ist, aber eine starke Präsenz auf der Leinwand hat, was lassen sie einen spielen? Die bad guys. Also spielt man sie. Dann kommt man in das Alter, in dem man immerhin Frau, Kinder, Geliebte haben kann, auch die ersten Krisen, also ziehen sie einen plötzlich für solche Rollen in Betracht. Wenn man jung ist, hat man seinen Auftritt und geht wieder ab. Wenn man älter ist und sich als Schauspieler ein bißchen etabliert hat, hält man länger durch, läßt sich Zeit für das, was man zeigen will. Jemand kann dir zwei Stunden lang zuschauen und dennoch von Szene zu Szene neu überrascht sein.

Viele Ihrer Leinwandcharaktere tragen den Grundkonflikt zwischen Körper und Geist aus, zwischen Pflicht und Neigung, Moral und Begierde. Jesus hatte im Grunde den gleichen Konflikt wie Frank. Wie wichtig ist Ihnen dieser Konflikt?

Er ist mein Leben. Es ist der Konflikt schlechthin, und ich glaube, nicht nur, weil ich Schauspieler bin. Frank ist ein bourgeoiser Karrierist, der seine Arbeit gut machen will und der Madonna für unschuldig hält. Zwischen Anwalt und Klientin entsteht Intimität, sie verführt ihn, und so passiert es wie von selbst, daß das Tier in ihm erwacht. Es hatte wohl geschlafen, was zum Teil an seinem bequemen Leben lag, aber zum Teil auch einfach daran, daß er bisher niemand gefunden hatte, der diese Seite in ihm anspricht.

Glauben Sie wirklich, daß man mit Sex töten kann, wie Madonna es als Rebecca Carlson in „Body of Evidence“ tut?

Keine Ahnung, die Frage interessiert mich nicht.

Aber sie stellt sich unwillkürlich, wenn man den Film sieht.

Grundsätzlich, politisch erübrigt sich die Frage, schließlich leben wir im Aids-Zeitalter.

Ich meine nicht Aids, sondern Sex.

Das ist schon klar, ich dachte nur daran, daß für die Kinder, die heute aufwachsen, Sterblichkeit und Sex auf furchterregende Weise miteinander verknüpft sind.

Als Schauspieler lieben Sie das Abenteuer und das Risiko. Für „Platoon“ gingen Sie auf die Philippinen, für Scorsese hingen Sie in Marokko am Kreuz, für „Triumph of the Spirit“ gingen Sie nach Auschwitz und Birkenau. Was war das Abenteuer bei „Body of Evidence“?

Der Gerichtssaal, der Sex und Madonna. Bevor man einen Film macht, sollte man sich überlegen, was einen daran interessiert. Diesmal waren es die ungewöhnlichen Zusammenhänge und Orte. Gerichtsfilme zum Beispiel sind wesentlich für den amerikanischen Film und das Fernsehen, aber ich hatte so was nie gemacht. Ich wollte wissen, wie das ist, aufzustehen und zu sagen: Meine Damen und Herren Geschworenen! Es macht Spaß. Und dann der Sex. Natürlich habe ich schon in Sexszenen gespielt, aber wir wollten etwas Neues machen, nicht das Konventionelle; auch das hat mich gereizt. Madonna kannte ich ein wenig, sie ist eine starke, komplizierte, lustige, große Persönlichkeit.

Sie war das Abenteuer.

Absolut. Aber um Mißverständnisse zu vermeiden: Sie war ein Abenteuer in dem Sinn, wie es Gene Hackman in „Mississippi Burning“ war. Man hat eine Beziehung zu jemand und bekommt die Gelegenheit, mit dieser Person zu arbeiten.

In Ihren früheren Filmen hatten Sie oft einen männlichen Gegenspieler: In „Platoon“ war es Tom Berenger als Sergeant Barnes, in „The Last Temptation“ Harvey Keitel als Judas, und eben Gene Hackman als erfahrener FBI- Agent im Gegensatz zu Ihrem Harvard-Boy in „Mississippi Burning“. Diesmal nehmen sie es zum erstenmal mit einer Frau auf.

Nein, das stimmt nicht. Auch in „Light Sleeper“ habe ich mit einer Frau zu kämpfen oder in „White Sands“ von Roger Donaldson.

Aber es ist das erste Mal, daß Sie von einer Frau dominiert werden.

Das stimmt, genau das hat mich gereizt. Ich spiele ja auch viel Theater bei der New Yorker Wooster Group, und die wird von einer Frau geleitet (von Elizabeth LeCompte, mit der Dafoe seit 15 Jahren liiert ist/chp ). Weil ich vom Film komme, denken die Leute oft, ich würde auf der Bühne nur eine Show abziehen und das Theater würde umgekehrt meine Berühmtheit ausnutzen und mir die Hauptrollen geben. Das Gegenteil ist der Fall. Bei der Wooster Group kam ich erstmals in Kontakt mit anderen künstlerischen Auffassungen von Schauspielerei, mit anderen Arbeitsformen, auch mit dem fernöstlichem Theater, wie etwa No, Kabuki und Bunraku, die zu Psychologie und Literatur ein anderes Verhältnis haben als unser traditionelles westliches Theater.

Ich habe gelesen, daß Sie da sehr seltsame Rollen spielen. Zum Beispiel eine Geisha oder ein Hühnerherz.

Das Hühnerherz war ein großes rotes Zelt, das auf- und abschwoll. Es ist ewig her, über zehn Jahre, aber die Leute schreiben das bis heute. Es ist schwer, über diese Theaterarbeit zu schreiben, und oft gibt es den falschen Eindruck, es handele sich um eine Art wilden Agitprop. Dabei ist es extrem diszipliniertes Theater, sehr technisch, sehr logisch strukturiert. Das aktuelle Stück, in dem ich eine Geisha spiele, ist ausnahmsweise kein eigenes Stück, sondern „Emperor Jones“ von Eugene O'Neill, ein Einakter. Wir erarbeiteten eine Art Dokumentation über ein japanisches Wandertheater, eine Familie, die früher für ihr klassisches Theater sehr respektiert wurde und jetzt aber nur noch Kurzfassungen für die Touristen spielen darf. Das ist sehr traurig, aber immer noch ein Rest dieses romantischen Theaterlebens auf der Straße, ähnlich wie Vaudeville. Es gibt also dieses Stück im Stück, und wir versuchen, in einem amerikanischen Theaterstück japanisch zu sein.

Was mich an „Body of Evidence“ gereizt hat, war der Rollentausch. Ich meine nicht den Sex oder den Sadomasochismus, sondern die Politik der Geschlechter. Ich wollte Madonna helfen, diesen Film zu machen, und genau das ist ja meine Rolle im Film: Ich verteidige Madonna. Die Machtverhältnisse sind so, daß Frank im Gerichtssaal die Oberhand hat und ihr Schicksal buchstäblich von seinen Fähigkeiten abhängt. Im Bett dreht sich diese Konstellation um. Aber im Grunde unterstützt Frank die Frau und nicht umgekehrt.

Wobei Sie als Frank überleben, und Madonna ist am Ende tot. Sie wird bestraft für ihre Dominanz.

Frank hat niemanden ermordet, Madonna sehr wohl. Ihr Kollege eben hat das auch schon kritisiert: der Film sei reaktionär. Mein Gott, es ist ein klassisches Vierziger-Jahre-Gerichtsdrama. Die Frau hat Leute umgebracht, also muß sie sterben. Das ist kein Film gegen Schwule oder gegen Abtreibung oder Frauenemanzipation; man sollte nicht zuviel in die Story hineinlesen.

Mit dem Schluß habe ich auch große Probleme. Madonna stirbt einen brutalen Tod, und Joe Mantegna als Staatsanwalt sagt zu Ihnen als Frank: „Jeder bekommt, was er verdient hat, ausgenommen Rechtsanwälte“.

Das ist ironisch.

Was die Rechtsanwälte angeht vielleicht, aber es klingt wie ein Plädoyer für die Todesstrafe. Die Männer sagen: Die Frau ist tot und es ist okay.

Sie müssen aber doch zugeben, daß Franks Leben ebenfalls zerstört ist. Der Film endet ja nicht damit, daß Frank seine Ehefrau umarmt und alles wieder in Ordnung kommt. Frank kann nicht mehr zurück. Wie hätten Sie's denn gerne: Hätte Frank auch sterben sollen?

Madonna hätte überleben können. Lebenslang hätte doch vielleicht genügt.

Ihr Freund hat sie erschossen. Das heißt für mich bestenfalls: Paß auf, mit wem du ins Bett gehst. Eine Story ist eine Story. Es ist keine Zeitungsmeldung. Bloß weil die Geschichte erfunden ist, denken die Leute, daß die, die sie sich ausgedacht haben, einen ganz raffiniert beeinflussen wollen. Wenn Sie die gleiche Geschichte in der Zeitung lesen, würden Sie dann auch sagen: Das bedeutet, wenn du ein wildes Mädchen bist, dich nicht an die Regeln hälst und ein paar Leute abmurkst, dann mußt du sterben, aber die Männer sind fein raus? Kein Mensch käme dann auf diese Idee.

Klar, Filme sind keine Nachrichten. Aber gerade in Amerika haben sie einen gewaltigen Einfluß. Sie reflektieren einerseits den Zustand der amerikanischen Gesellschaft, ihre Träume, Ängste und Hoffnungen, aber sie beeinflussen all das auch, nicht auf direkte Weise, aber es gibt doch so etwas wie die Macht der Imagination.

„Body of Evidence“ ist ein Melodrama. Es geht um klassische Archetypen. Wie kommt es zu solchen Archetypen? Warum ruft das Melodram so heftige Gefühle hervor? Weil es in der Wirklichkeit wurzelt und diese Wahrheit reflektiert. Das heißt noch lange nicht, daß wir diese Wahrheit auch propagieren und gutheißen, indem wir von den Archetypen Gebrauch machen. Politisch gesehen ist die Idee der bösen Frau eine fragwürdige Sache. Aber sie reflektiert etwas, was die Leute sagen. Soll ich so etwas in Filmen nicht mehr zeigen dürfen, weil es kein progressives Bild abgibt? Wenn wir damit erst anfangen, werden wir erst recht repressiv.

Das wäre dann Zensur?

Ja (lacht), meine Güte, Ihr Deutschen seid so kompliziert.

Demnächst kann man Sie erstmals in einem deutschen Film sehen, in Wim Wenders' Fortsetzung von „Der Himmel über Berlin“. Wen spielen Sie da?

Es ist eine kleine Nebenrolle, aber eine ganz besondere. Ähnlich wie im „Himmel über Berlin“ sind die Figuren auch diesmal alle entweder Sterbliche oder Engel. Ich bin weder das eine noch das andere. Mehr verrate ich nicht.

Die Wooster-Group wird mit „Fish-Story“ und ihrer Produktion „Brace Up!“ – einem Multimedia- Spektakel nach Tschechows „Drei Schwestern“ – beim Münchner „Theater der Welt“ gastieren, voraussichtlich mit Willem Dafoe. Termine: „Brace Up!“ 18.–21.6.; „Fish-Story“ 24.–27.6.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen