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Hellgelb wie Honig

Der Mann, der Madonna killte: Uli Edels „Body of Evidence“ macht aus dem „Material Girl“ eine Charge  ■ Von Thomas Groß

Am beeindruckendsten sind die Duschkabinen: groß wie Badezimmer, aseptisch wie Orte eines magischen Gegenzaubers zum Dreck der Welt, der unhörbar von draußen heranbrandet, wenn Rechtsanwalt Dulaney den Geschlechtsverkehr mit seiner Frau vollzieht – nicht gerade unlustig, durchaus satisfying, aber doch auch ein wenig gymnastisch. Das geht so seinen amerikanischen Gang.

Und ginge in Ewigkeit so weiter, wären da nicht diese Sirenengesänge. Madonna alias Rebecca Carlson wohnt sinnfälligerweise in einem Hausboot auf dem Fluß, halb draußen schon aus der bürgerlichen Welt, wie früher die Aussätzigen und Verrückten. Frank Dulaney (Willem Dafoe) hat, den Warnungen von Frau und Bub zum Trotz, die Verteidigung der geheimnisvollen Galeriebesitzerin übernommen – und sich dafür einen Romantiker schimpfen lassen müssen.

Was er natürlich auch ist. Denn nicht nur wird Rebecca zur Last gelegt, ihren armen, alten, herzkranken Ehemann absichtsvoll zu Tode gefickt zu haben, der Plot will es, daß das wahrscheinlich sogar stimmt: Handschellen baumeln am am Bett, prompt findet sich ein schlimmes Video (das zu Beginn abläuft), dann Drogen, nicht zu vergessen das Testament zu ihren Gunsten (8.000.000 $!)... No doubt about it: böse, ja gemein ist diese Frau, darum sagt sie auch ständig Sachen wie „Hast Du schon einmal den Tieren dabei zugesehen? Es ist intensiv, gewalttätig... und doch tun sie sich einander nie weh.“ Oder, anti-cartesianisches Credo: „Ich ficke, also bin ich.“

Das ist schlicht, das ist gemütsblond, aber natürlich gerade das, was den Mann und Romantiker im Anwalt lockt. Und obendrein den Sozialphilosophen im Regisseur gereizt hat. Wie sonst sollten diese exquisiten Bilder zustande gekommen sein, mit denen Uli „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ Edel die family values den Bach runtergehenläßt?

Da zieht schwer was hinan. Dunkle Wasser, die das Hausboot umrauschen, vielsagende Blicke, laszives Ammittelfingerlutschen und dämonische Augenaufschläge von Seiten Rebecca/Madonnas; des weiteren offenes Kaminfeuer und abgedimmtes Lampenlicht, braunrotschwarze femme-fatalöse Interieurs mit so gewagten S/M- Einzelheiten wie nackten Sesselbeinen und Sofas, nicht zuletzt auch Gardinen, die labial sich bauschen, während dazwischen ein dunkler Spalt sich auftut – sowas muß tief empfunden sein, weil das nämlich so platt ist, daß da so schnell keiner drauf kommt.

Body Of Evidence ist zunächst einmal ein zutiefst unironischer Film, der die Versuchung und Verführung des biederen Frank durch die skrupellose Beischlafsgewinnlerin als Prinzipienkampf zwischen Gut und Böse inszeniert und sich dabei gleich an zwei Genres versucht: Gerichtsfilm und (Soft-)Porno.

Zu ersterem mag Edel noch die größere Affinität haben, weil es dem untergründig Moralinsüßen der Story entgegenkommt: Geschworene, die als idealtypische Vertreter der Öffentlichkeit sich mit dem momentanen Stand der Landessitten zu befassen haben. Gezeigt wird das Hin und Her der Vernehmung mit „Einspruch“, „Einspruch stattgegeben“ oder auch einem suspense-fördernden „Fahren Sie fort“ von seiten der höchstrichterlichen Instanz (die Edel – Kunstgriff! – mit einer Frau besetzt hat).

Dann Indizien, Beweismittel, anwaltliches Popeln in allerhand Sauereien, Tränen im Zeugenstand, Plädoyers und Gegenplädoyers usw. Dieser ganze Im-Namen-des-Gesetzes-Zauber, der sich so schön auch in Rechtsanwalt Dulaney inkorporiert, ist handwerklich correct in Szene gesetzt. Identifikation ist das Gebot der Szene(n): Frank als good guy, der sich selbst und der Welt noch einmal zeigen will, daß Gerechtigkeit sich gegen den äußeren Anschein durchsetzen kann, ja muß (die Frauen werden's einem hinterher schon danken).

Und das, obwohl der Zuschauer, Edel sei Dank, doch längst schon weiß, wie verloren das Spiel in Wirklichkeit ist. Dem hellen Universum der Rede steht eine Politik des Körpers gegenüber, die sich als eigentliche Bühne behauptet. Die Frau beherrscht den Ort, an dem die Fäden gezogen werden.

Sie ist eben doch das, was ihr von Rechts wegen zugeschrieben wird: ein „Killer in der Maske eines liebenden Partners“. Eventuelle Zweifel werden durch zuckende Muskel und allerhand Mienenspiel ausgeräumt, auch und gerade von seiten Franks.

Das Jekyll & Hyde-Syndrom, per Parallelführung der Handlungsstränge aufs schönste veranschaulicht: während der Anwalt mit den Mitteln von Sprache und Aufklärung das Recht gegen die Bigotterien des amerikanischen Puritanismus durchzusetzen trachtet, treibt es ihn nächtens in dunkle Ecken oder Tiefgaragen (!), Rebeccas angestammte Sphäre, wo er in Fußbodennähe zum wilden Tier wird.

Was natürlich nicht ohne Folgen für den Prozeßverlauf bleibt. Frank denkt, Rebecca lenkt, die Geschworenen haben's zu richten. Den Clou hat Edel sich bei Wilders „Zeugin der Anklage“ abgeschaut: Der Triumph männlich-strategischer Rhetorik und deren absolute Niederlage fallen zusammen. Während Frank sich noch (tatsächlich wie nach erfolgter Ejakulation) zufrieden lächelnd zurücklehnt, kommt auch schon der Tiefschlag, der ihm endgültig die Augen öffnet.

Womit wir beim Porno wären. Zu dem hat Edel auch eine Affinität, aber sie ist von der etwas verdrucksten Art. Einerseits wirkt seine Zentralmessage – Frauen sind stärker als Männer, weil sie mehr und „chthonischeren“ Sex haben – wie von Camille Paglia geborgt.

Es wird wieder diskutiert über biologische Schatten und libidinöse Gründe im zivilisierten Miteinander, ein irreduzibles „Wesen“ hinter und unter der Individualität; ein neuer Essentialismus kündigt sich an, und vage Vorstellungen „heidnischer Bilderkulte“ – schöner Racheaktionen der Natur, die Paglia in Rock, Pop und Pornographie am Werk sieht – müssen auch bis zu Edel durchgedrungen sein. Immerhin steht seine Rebecca Carlsen mächtig im Bunde mit allem, was fatale Frauen so als ihre Domänen bezeichnen: Wasser, Erde, Sex, Lügen und Videobänder.

Aber so genau will er es andererseits auch wieder nicht nehmen mit seinem Gegenstand, schließlich geht es um Hollywood-Phantasien eines deutschen Musterregisseurs. Was die Basic Instincts anbelangt, bleibt es beim Kundenfang, und zwar nicht, weil man „nichts sieht“. Es ist eher zu viel zu sehen von diesen kunstharzveredelten Körper-Choreographien, die weit von den phantastischen Brüchen, surrealistischen Handlungssträngen und dem trashigen Ernst „echter“ Pornographie entfernt sind.

Der Mann möchte halt arg auf die Schnelle an einem Trend partizipieren, ein bißchen mitwerkeln an der „Rückkehr der Triebe“ (SZ), die auch das hiesige Feuilleton momentan wieder rituell aufwühlt, und dafür ist ihm (und dem Produzenten Bernd „wer sonst?“ Eichinger) keine Fingerfertigkeit zu blöd. „Body Of Evidence“ ist adult movie im schlechtesten Sinne: geschmäcklerisch, risikolos, botschaftsfixiert und voll der Trostlosigkeit, die ein Film hat, wenn er versucht, aus Porno Kunst zu machen und beim Design landet.

Hellgelb wie Honig tröpfelt das heiße Wachs auf Dulaneys Brust, zart spielt der Schatten auf den hergezeigten Bodies – alles ist so furchtbar geheimnislos und evident. Es ist eben diese gruslige 9 1/2-Wochen-Jacobs-Kaffee-Sadomaso-Ästhetik, die so einem wie Edel offenbar glänzend reinläuft, weil sie seiner Vorstellung von starken Bildern, großen Gefühlen und hochprozentigem internationalem Kino entspricht.

Und Madonna? Leider macht sie viel Miene zum pittoresken Spiel. Offenbar hat ihre relative Erfolglosigkeit im Filmmetier in ihr den Zwang geweckt, sich endlich als „richtige“ Schauspielerin zu beweisen, und das tut sie, indem sie der Figur der Rebecca durch allerhand „psychologische“ Andeutungen eine Mainstream-Tragik verleiht, die sich schlecht mit der grandiosen Kaltschnäuzigkeit eines Material Girl verträgt.

Plötzlich ist sie eine Charge, bei der das Damenopfer, der Fall der Göttin von vornherein miteingeplant ist – eine Variante, die es so bei ihr noch nie gegeben hat, nicht in ihren Videos und schon gar nicht auf ihren Platten, wo sie stets den Genuß am Triumph zur Schau stellte. Da geht nun wohl doch eine Ära zu Ende: Madonna hat den Bezug zu ihren Trash-Wurzeln verloren, ist eine Designer-Ikone geworden. Ihre Rolle in Body of Evidence ist kein spätfeministisch oder sonstwie emanzipatorisch zu interpretierender Ich-krieg-was- ich-will-Pop mehr, sondern Edel- Hardrock mit Affinität zur Männerphantasie.

Entsprechend bieder das Finale, in dem die Moralität dann doch noch obsiegt. Blut ist dicker als Wasser, aber gut ist – after all – besser als böse. Es kommt, wie Edel es kommen sehen will: Rebecca/Madonna hat, von rächenden Kugeln durchbohrt, tot ins ihr eigene Element zu plumpsen, bloß leider nicht als heiter-sinnloser Splattereffekt, sondern im Namen irgendeiner höheren Gerechtigkeit. Und damit die arme Seele endlich Ruhe hat.

Wir von der Liga für alternde Popstars meinen: das hat sie nicht verdient, schon um des guten schlechten Geschmacks willen. Anders als Uli Edel war sie mal wer.

„Body Of Evidence“. Regie: Uli Edel. Mit Madonna, Willem Dafoe, Joe Mantegna, Jürgen Prochnow, Anne Archer. USA/Deutschland, 1993

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