piwik no script img

Rabins zweideutige Politik

Die Sperrung der besetzten Gebiete verschärft die Repression gegen Palästinenser, belebt jedoch zugleich die Perspektive einer Zweistaatenlösung neu  ■ Von Amos Wollin

Tel Aviv (taz) – Das israelische Kabinett hat in seiner letzten Sitzung eine Debatte über Möglichkeiten einer schrittweisen Reduzierung der palästinensischen Arbeitskräfte in der israelischen Wirtschaft begonnen. Ministerpräsident Jitzhak Rabin gab zu verstehen, daß er letztlich eine Trennung zwischen Israel und der palästinensischen Bevölkerung der besetzten Gebieten herbeiführen will. Dabei ließ er die langfristigen Perspektiven seiner Politik bewußt offen. Kurzfristig spielen in dieser Debatte jedenfalls sicherheitspolitische und wirtschaftliche Erwägungen eine vorrangige Rolle.

Rabin erklärte, daß während der bevorstehenden Nahostverhandlungen keine Einschränkung des palästinensischen Widerstandes gegen die Besatzung – des „Terrors“, wie er sich ausdrückte – zu erwarten sei. Darum müsse die Trennung der palästinensischen und der israelischen Bevölkerung während dieser Zeit vorrangig sein. Die meisten Regierungsmitglieder sind allerdings der Meinung, daß Rabin zum gegenwärtigen Zeitpunkt eigentlich keine so radikale Trennung der Bevölkerungen beabsichtigt, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Rabin wolle vielmehr drastisch zum Ausdruck bringen, daß auch nach einer Aufhebung der vor über einer Woche verfügten Abriegelung der besetzten Gebiete keine Rückkehr zum Status quo geduldet werde. Die Zahl der palästinensischen Tagelöhner, bis zur Sperrung der Gebiete rund 120.000, die bisher in der israelischen Wirtschaft gearbeitet haben, soll in Zukunft drastisch reduziert werden.

In den Bereichen der israelischen Wirtschaft, in denen schwere körperliche Arbeit bei schlechter Bezahlung geleistet wird, stellten die Palästinenser bislang den überwältigenden Anteil der Arbeitskräfte. Was Rabin also erreichen will, ist eine möglichst weitgehende Reduzierung der Palästinenser in der israelischen Bauindustrie, in verschiedenen Dienstleistungssektoren und bei der landwirtschaftlichen Saisonarbeit, wo ganz besonders niedrige Löhne gezahlt werden.

Zu diesem Zweck wurde eine ministerielle Sonderkommission unter Leitung der Arbeitsministerin Ora Namir gebildet, die bereits in einer Woche konkrete Vorschläge vorlegen soll. Vor allem soll sie klären, ob und wie ein Großteil der palästinensischen Arbeiter zumindest in den wichtigsten Bereichen aus dem Reservoir der rund 200.000 israelischen Arbeitslosen ersetzt werden kann.

Ursprünglich sollte die erneute totale Abriegelung der besetzten Gebiete zumindest für die Dauer des jüdischen Pessachfestes eine „Sicherheitsbarriere“ zwischen die besetzten Gebiete und Israel legen, nachdem im März nicht nur 26 Palästinenser von israelischen Soldaten getötet wurden, sondern auch 15 Israelis von Palästinensern. Der Abriegelungsbeschluß war eine schnelle Maßnahme der Regierung, um die empörte israelische Bevölkerung zu beschwichtigen und insbesondere der rechten Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, die bei täglichen Demonstrationen den Rücktritt Rabins forderte.

Die Regierung nutzt die Übergangszeit der vollkommenen Isolierung der besetzten Gebiete zur Zeit, um die Armee vor allem in den palästinensischen Flüchtlingslagern massive Abschreckungs- und Durchsuchungsaktionen durchführen zu lassen. Gleichzeitig läßt sie ein System ausarbeiten, das die Bewegungsfreiheit der Palästinenser in den besetzten Gebieten und ihre Transitmöglichkeiten nach Israel noch strenger reguliert als zuvor. Die Einreisebestimmungen für palästinensische Arbeiter nach Israel sollen noch strenger gehandhabt werden. Damit will die Regierung auch der 12prozentigen und ständig steigenden Arbeitslosigkeit in Israel beikommen. Unrealistisch ist das nicht zuletzt deshalb, weil israelische Arbeitgeber nicht ohne weiteres ihre Gewohnheit aufgeben werden, bevorzugt die weitaus billigeren und guten palästinensischen Arbeitskräfte einzustellen. Außerdem weigern sich israelische Arbeitslose, zu den gleichen schlechten Konditionen wie die Araber in der Landwirtschaft oder auf dem Bau zu arbeiten.

Die Tatsache, daß Rabin jetzt von der Möglichkeit spricht, die palästinensische und die israelische Bevölkerung für die Zeit der Nahostverhandlungen zu trennen, sei es auch in erster Linie aus Sicherheitsgründen, steht gewiß im Gegensatz zu der vom Likud und seinen ehemaligen Regierungspartnern gepredigten „untrennbaren Einheit Großisraels“. Rabins Vorgänger meinten damit nicht die palästinensische Bevölkerung, sondern das Territorium der besetzten Gebiete, das sie „für alle Ewigkeit“ als integralen Teil Israels betrachten wollten. Heute sprechen die rechten Oppositionsparteien von der drohenden Gefahr, daß die gegenwärtigen Separierungsmaßnahmen der Regierung im Grunde Vorbereitungen für einen zukünftigen Rückzug aus wesentlichen Teilen der besetzten Gebiete darstellen.

Doch Rabin hält beispielsweise einen möglichst baldigen „einseitigen Rückzug“ aus dem Gazastreifen nicht für erstrebenswert, im Gegensatz zu einigen Mitgliedern der Regierung, die dieses Gebiet nur mehr als eine Belastung für Israel betrachten. Über alle Fragen, die eine zukünftige Autonomie- Zwischenlösung – auch im Gazastreifen – betreffen, soll mit den Palästinensern in Washington verhandelt werden. Aber bei der israelischen Öffentlichkeit, die in erster Linie auf ihre persönliche Sicherheit bedacht ist, kommt der Wunsch nach Separierung immer stärker zum Ausdruck, im Grunde also doch die Befürwortung einer Zweistaatenlösung für Israelis und Palästinenser. Die Palästinenser nehmen diese Entwicklung in der israelischen Öffentlichkeit natürlich wahr, und sie ziehen daraus ihre eigenen Schlüsse, sowohl für die Taktik ihres Widerstands gegen die Besatzer, als auch bei der Vorbereitung weiterer politischer Verhandlungsstrategien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen