: Keine Aussperrung bei Ost-Metallern
Die Metall-Arbeitgeber sind offenbar nicht bereit, überhaupt noch einen Tarifvertrag zu akzeptieren / In diesem Fall will die IG Metall mit jedem Betrieb einzeln verhandeln ■ Von Martin Kempe
Berlin (taz) – Die neue Eskalationsstufe im Streit um die Angleichung der Tarife in der ostdeutschen Metallindustrie besteht darin, den Gegner zu ignorieren. Nach dem spektakulären Scheitern des Vermittlungsversuchs in Sachsen scheint sich hier eine unverhoffte Einigkeit herzustellen. Der sächsische IG-Metall-Bezirksleiter Hasso Düwel schlug am Dienstag vor der Großen Tarifkommission seiner Organisation in Dresden vor, die Gewerkschaft solle den Arbeitgeberverband einfach so behandeln, „als ob er nicht existiere“.
Und der Präsident von Gesamtmetall, Hans-Joachim Gottschol, kündigte ebenso wie sein Hauptgeschäftsführer Dieter Kirchner geradezu Phantastisches an: „Wir werden uns an einem Arbeitskampf nicht beteiligen. Wir denken nicht an Gegenmaßnahmen.“ Deshalb werde der Arbeitgeberverband bei einem Streik der Gewerkschaft auch keine Aussperrungen praktizieren.
Hintergrund dieser eigentümlichen Stellungnahmen sind die ostdeutschen Besonderheiten des Arbeitskonflikts. Gesamtmetall fällt der Verzicht auf Aussperrung natürlich vor allem deshalb leicht, weil die streikfeindlichen Regelungen des Paragraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes in Ostdeutschland kaum greifen. Ein weiterer Grund aber dürfte darin liegen, daß der Arbeitskonflikt den Arbeitgeberverband in Ostdeutschland in eine extreme Zerreißprobe gebracht hat. Viele ostdeutsche Unternehmer sind offen oder heimlich gegen den Konfrontationskurs der Kölner Gesamtmetall-Zentrale und würden um den Arbeitsfriedens willen lieber heute als morgen ihre tarifvertraglichen Verpflichtungen erfüllen. Für eine extreme Verschärfung des Konflikts durch Aussperrung wären sie auf Grund der prekären Situation der meisten ostdeutschen Betriebe kaum zu gewinnen.
Der Vorstand der IG Metall dagegen hat mit seinem Beschluß, erst am 19. April auf einer außerordentlichen Sitzung über mögliche Urabstimmungen zu entscheiden, noch einmal Raum für Vermittlungsversuche geschaffen. Gleichzeitig hat er sich die Option offengelassen, außer Sachsen auch andere Tarifgebiete in die Auseinandersetzung einzubeziehen. Im Gespräch ist vor allem Mecklenburg- Vorpommern.
Aussagen über die Arbeitskampfstrategie der Gewerkschaft sind derzeit kaum zu bekommen. Der IG-Metall-Vorsitzende Steinkühler erklärte, die Gewerkschaft habe sich noch nicht entschieden, ob es einen Flächenstreik oder einen Streik „von Betrieb zu Betrieb“ geben werde. Bei der IG Metall rechnet man inzwischen mit der Möglichkeit, daß die einseitige Aufkündigung des geltenden Tarifvertrages für die ostdeutsche Metallindustrie auch durch Streik nicht wieder rückgängig zu machen ist.
Dies wird durch Äußerungen des Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführers Kirchner bestärkt: für die Unternehmen wäre gar kein Tarifvertrag besser als dieser. Die „Totstellstrategie“ von Gesamtmetall hätte einen tariflosen Zustand in der ostdeutschen Metallindustrie zur Folge, bei dem die Betriebe entsprechend der Gesamtmetall-Empfehlung zahlen oder, wenn auch dies zu hoch erscheint, noch darunter.
Die IG Metall wird in diesem Fall in jedem Betrieb einzeln die Norm des geltenden Tarifvertrages durchzusetzen versuchen. Wo die Geschäftsführungen kooperationswillig sind, wird ein Anerkennungstarifvertrag abgeschlossen. Wo sie zu einer solchen Regelung nicht bereit sind, wird gestreikt. Interessant an dieser Variante ist, daß die Gewerkschaft bei diesem einzelbetrieblichen Vorgehen ihr in den bisherigen Verhandlungen vergeblich vorgetragenes Angebot konkretisieren könnte: bei notleidenden Betrieben sei man zu Konzessionen bereit.
Warnstreiks werden fortgesetzt
Potsdam (dpa) – Mehr als tausend Metaller haben sich am Mittwoch in Brandenburg an Warnstreiks beteiligt. Bei der größten Aktion zogen in Oranienburg mehrere hundert Beschäftigte verschiedener Metallbetriebe, darunter des Kaltwalzwerkes, während eines zweistündigen Warnstreiks zu einer Protestkundgebung durch die Stadt und blockierten das Zentrum.
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